Heddesheim/Mannheim/Stuttgart, 05. August 2011. Die streikenden Redakteure beim MM zeigen einmal mehr, wie kopflos sie sind und warum sie als Teil des Systems an dessen Untergang mitarbeiten – selbst wenn das durch den Streik momentan anders aussieht.
Von Hardy Prothmann
Rund 50 MM-Redakteure sind im Streit. Und um ihr Anliegen der Welt kund zu tun, sind sie in die Offensive gegangen.
Bei Facebook haben sie einen Account eingerichtet: „Streik Morgen„. Auf WordPress ein Blog „mmstreikblog„.
Den Facebook-Account haben sie für „Nicht-Freunde“ dicht gemacht, nachdem ich dort ein paar ganz unproblematische Kommentare gepostet habe. Weil ich aber eine „persona-non-grata“ für die MM-Redakteure bin, bin ich nicht erwünscht. Selbst Hinweise auf nützliche Informationen sind nicht gewünscht. Zumindest nicht von mir.
Unliebsame Kommentare auf dem Blog werden nicht veröffentlicht – der Solidaritätsaufruf mit absolut mies bezahlten freien Mitarbeitern ist ein solch unliebsamer Kommentar.
Als Unterstützung werden Künstler aufgeboten. Die meisten sind sehr unverdächtig, sich sonst einmal zu Presse, Medien, Politik und Gesellschaft geäußert zu haben oder auch nur einen wichtigeren Beitrag liefern zu können, als: „Die Zeitung ist mir schon wichtig.“
Auffällig ist, dass die Redakteure ausgerechnet die Internetmedien nutzen wollen, um Solidarität einzuwerben. Ausgerechnet das Medium, das angeblich hauptsächlich für die „Probleme“ der Lokalzeitungen verantwortlich sein soll, was bislang kaum stimmt.
Auffällig ist auch, wie beschränkt das Wissen der Redakteure über das Internet ist. Zensur, Mauern hochziehen, ausschließen, nur „liebsame“ Beiträge zulassen – sie machen jeden Fehler, den man machen kann.
Dazu fällt auf, wie unprofessionell ihre „Präsentationen“ sind. Verschwurbelte Texte, Pressemeldungen der Gewerkschaften, schreckliche Videos und Bilder – die Redakteure zeigen, was sie können. Sie machen ihren Job, so wie sie ihn immer machen. Nämlich nicht gut. Dazu kommen ein technisches und inhaltliches Unvermögen in Sachen neue Medien.
Auffällig ist auch die Haltung: „Seht her, wir Redakteure streiken jetzt. Ihr müsst uns Solidarität geben“, ist selbstverständliche Erwartungshaltung. Man geht davon aus, dass alle Menschen darüber reden, was die Redakteure so machen. Denn leider denken diese Redakteure immer noch, sie seien „Gatekeeper“. Sie denken, dass das, was sie veröffentlichen, das ist, was die Menschen erreicht und nichts sonst. Sie denken tatsächlich genauso wie ihre monopolistischen Herren, gegen die sie gerade ein wenig revoltieren.
Deswegen haben sie ihrer Vorstellung nach Kritik auch nicht nötig. Es gibt so gut wie keine Kommentare auf Facebook oder auf dem Blog, weil nichts dazu einlädt. Und wenn doch, wird gelöscht oder nicht geantwortet.
Was die Redakteure noch nicht gemerkt haben: Sie sind meilenweit weg von den Menschen. Früher war das egal, da gabs ja nur die Zeitung. Friß oder stirb – andere Alternativen gab es nicht.
Seit vielen Jahren ändert sich das rasant – nur die Redakteure bekommen das in ihrer Selbstgefälligkeit nicht mit.
Vor ein paar Tagen erzählte mir jemand, diese Redakteure hätten „Angst“ vor mir. Angst persönlich thematisiert zu werden. Was die Redakteure noch nicht verstanden haben: Sie sind keine Alleinherrscher mehr über Themen und Kritik. Sie können genauso Thema werden und kritisiert werden.
Die Menschen warten nicht mehr drauf, bis morgens die Zeitung mit Nachrichten von irgendwann kommt. Nachrichten kommen in Echtzeit, werden in Echtzeit kommentiert und sind nicht ans Papier gebunden. Wird ein Kommentar oder Leserbrief nicht beim Adressaten veröffentlicht, dann woanders. Und er wird geteilt, weiter verbreitet und archiviert und gesammelt und neu zusammengesetzt. Aus Sicht der Redakteure ist das der totale Kontrollverlust. Wahnsinn.
Die „Zeitungskrise“, also der Verfall von hochprofitablen zu nur noch provitablen Unternehmen, ist zum einen durch die arroganten Verleger verursacht, aber durchaus auch durch die nicht minder arroganten Redakteure. Das haben bislang weder die Verleger noch die Redakteure verstanden. Arroganz verpflichtet.
Nach der ersten großen Welle, dem weitgehenden Verlust der Rubrikenmärkte Auto, Immobilien, Jobs und Kleinanzeigen, kamm die nächste: Der Verlust an Aufmerksamkeit. Alle Medien konkurrieren um Aufmerksamkeit und Zeit der Nutzer.
Die dödeligen, langweiligen und immergleichen Inhalte haben zuerst die Jugend vertrieben und später auch die, die feststellten, dass mit weniger Aufwand und weniger Geld topaktuelle Nachrichten über Handy und Internet zu haben sind. Und selbst Rentner entdecken mehr und mehr das Netz und haben längst kein Interesse mehr an Schecküberreichungsbildern und grinsenden Bürgermeistern und dieser ganzen Bratwursterei.
Die nächste Welle steht bevor: Lokale Blogs wie die, die ich mache, entstehen überall. Und sie ziehen überall da Aufmerksamkeit auf sich, wo sie besser gemacht sind als die „alte Tante Tageszeitung“.
Das verstehen diese Redakteure nicht. Sie leiden unter ihrem Bedeutungsverlust, den sie zwar irgendwie spüren, aber nicht erkennen wollen. Sie wollen eine 35-Stunden-Woche, lieber mehr Geld und am allerliebsten, dass alles so bleibt, wie es ist. Zur Arbeit, Zeitung machen, Andruck, Zeitung lesen. Das ist ihr Rhythmus. Den sind sie gewohnt. Der soll sich nicht ändern.
Vor einigen Jahren versuchten größere Verlage „junge Zeitungen“, „Zeitungen für die mobile Generation“ und was nicht sonst noch alles, um sich dem „Lebensrhythmus“ der Menschen anzupassen, der sich aber immer an die Zeitung anzupassen hatte. Es gab einen Kampf der Gratiszeitungen. All das ist gescheitert.
Der Bedeutungsverlust der Zeitungen schreitet immens voran. Man erkennt das an massiven Verlusten bei Auflage und Werbevolumen. Das lässt sich nicht leugnen. Das ist so. Und was machen die Redakteure? Sie holen sich Leute, die sagen sollen: „Die Zeitung ist mir wichtig.“
Als wenn das eine Lösung wäre. Es ist keine.
Die Zeitungsredakteure werden mit ihrem Streik vielleicht erreichen, dass die Einschnitte nicht ganz so heftig sein werden und überleben damit noch 2012 und vielleicht auch 2013.
Danach wird es einen Kahlschlag geben.
Das haben die Lokalzeitungsredakteure in ihrer Streikeuphorie noch nicht erkannt.
Sie kapieren einfach nichts – vor allem nicht, dass ihre Präsentation, die sie selbst während des Streiks abliefern, der allerbeste Grund ist, um ihnen keine Träne nachzuweinen.
Da können sie sich noch so in der Offensive wähnen – die Realität wird eine andere sein.
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