Donnerstag, 01. Juni 2023

Zeitung: Was vom Streik übrig bleiben wird

Heddesheim, 01. August 2011. Gestern war ein Fernsehteam vom SWR für das ARD-Morgenmagazin bei mir. Anlass: Redakteure und Drucker streiken, während im Netz Lokalblogs als Konkurrenzangebote entstehen. Was ich davon halte, wollte der Kollege wissen. Hier die Langfassung.

Von Hardy Prothmann

Der Tarifstreit wird fürchterliche Folgen haben.

Was kostet eine ganze Zeitungsseite, wenn die Inhalte von "Freien Mitarbeitern" kommen? 150 Euro? Quelle: MM

Heute war beispielsweise im Mannheimer Morgen eine ganze Seite über den Ort Schriesheim von einer freien Mitarbeiterin. Nimmt man 30 Cent pro Zeile á 300 Zeilen, hat die Dame dafür 90 Euros erhalten, für ein paar Bilder vielleicht nochmal 60 Euro. Eine ganze Zeitungsseite also mit journalistischen Kosten von 150 Euro. Nicht schlecht. Eventuell geht es sogar noch günstiger.

Der Inhalt ist von dem der Redakteure kaum zu unterscheiden. Viel Blabla, wenig Recherche. Bratwurst eben.

Mal abgesehen davon, dass die freie Mitarbeiterin wenig Solidarität mit den Redakteuren zeigt (warum auch bei dem Hungerlohn, für den die Freien arbeiten müssen), dass eine Redaktion ersetzbar ist.

Viele Artikel werden eh schon als „zg“, also zugeschickt, eins zu eins übernommen. Dafür kann man sicher einen Studenten für sechs Euro die Stunde anlernen. Eine Bildredaktion gibts eh nicht, einen Textchef sowieso nicht. Also was solls.

Wenn die Verleger nicht nachgeben, was sollen die Gewerkschaften schon tun? Es kostet viel Geld, so einen Streik zu finanzieren und im Moment verlieren die Verleger nicht viel Geld, weil das Sommerloch eh kein guter Umsatzmonat ist.

Die Verleger fordern 25 Prozent minus für Einsteiger und fünf Prozent minus für Angestellte. Die Gerwerkschaften fordern Einhaltung des alten Tarifvertrags und vier Prozent plus. Wie soll man sich da annähern? In der Mitte? Heißt immer noch gut zehn Prozent weniger für Einsteiger und etwa eine Nullrunde für die bereits Angestellten.

Gewerkschaften haben sich noch so sehr um den Nachwuchs gekümmert. Warum auch? Zahlen ja nix in die Kasse. Auch nicht freie Journalisten und selbst wenn, dann nur Minimalbeträge.

Uiuiui - die Verleger zittern sicher wie Espenlaub. Quelle: verdi

Wenn sich die Verleger zum Schein auf einen Kompromiss einlassen, werden sie alsbald verkünden, dass die unmässigen Lohnforderungen der Gewerkschaften sie zu schmerzhaften „Einschnitten“ zwingen.

Im Ergebnis werden Redaktionen entlassen werden und dann für 60-70 Prozent des ursprünglichen Gehalts von ausgegründeten GmbHs wieder eingestellt, wobei man sich einen grundsätzlichen Deckel bei „Redaktionsleitern“ von sagen wir mal 3.000 Euro Brutto sicher vorstellen kann.

Ausstieg aus dem Tarifverbund, kein Betriebsrat mehr, dafür buckeln bis zum Abwinken. Wer aufmuckt, ist schneller draußen als er Widerspruch sagen kann.

Leute gibts schon genug da draußen, die lieber für kleines Geld als Scheinredakteur arbeiten, statt in einer Fabrik zu arbeiten, wo man vielleicht sogar mehr „verdienen“ kann. Hunderte Jobs von Journalisten sind in den vergangenen Jahren gestrichen worden.

Zeitungen wie der MM verlieren zwar dramatisch Abonnenten, allein 1.500 im zweiten Quartal 2011, aber das ist nur relativ. Wenn man auf der anderen Seite die Kosten auf das nötigste und drunter eindampft, bleibt für die Geschäftsleitung und die Inhaber immer noch eine satte, meist zweistellige Rendite.

Außer Aldi & Co. streichen ihre Millionen teuren Anzeigen – dann geht es ans Eingemachte.

Dass es den „Verlegern“ schon längst nicht mehr um „Journalismus“ geht, erkennt man sehr schön am Jahresberich des Verbands Südwestdeutscher Zeitungsverleger e.V.. Auf knapp 80 Seiten erscheint genau zwei Mal das Wort „Journalismus“:

„Die Verlage wollten auch in Zukunft Qualitätsjournalismus und Vielfalt mit hohem personellem Aufwand sichern.“ (Seite 29)

„Im Jahr 2011 werden alle Seminare wieder angeboten, die im Jahr 2010 genügend Interessenten gefunden haben. Hinzu kommt ein Seminar „Journalismus 2.0 und Social Media“, bei dem es um Umgang und Recherche in neuen sozialen Medien wie Facebook gehen wird.“ (Seite 44)

Tatsächlich findet man unter dem Begriff „journalis“ dann ein paar mehr Sätze, die aber wenig Hoffnung lassen, dass Verleger Journalisten als Garanten für ihr eigenes Geschäft sehen.

Zwei Seiten widmen sich kurz und trocken der „journalistischen Weiterbildung“, der größte Teil des Papiers handelt von „Rechten“, Anzeigen, Vertrieb, Medienpolitik. Auf ein paar Seiten kommen die Tarife zur Sprache und das man den Vertrag kündigen werde. Damit machen die Verleger klar, was sie vom Journalismus halten – er ist ein Kostenfaktor.

Und da es so gut wie keine „Verleger“ mehr gibt, in deren Brust ein journalistisches Herz schlägt, darf man sich nicht wundern, wenn der Kahlschlag weiter geht. Und da viele Chefredakteure und Redaktionsleiter nur noch Vollstrecker der betriebswirtschaftlichen Vorgaben sind, stirbt auch hier die Hoffnung.

Jungen Menschen, die es zu bescheidenem Wohlstand bringen wollen, sollte man dringend abraten, an „Journalismus“ als Beruf zu denken. Solchen, die „wirklichen“ Journalismus machen wollen, erst recht.

Hör-Tipp:
DeutschlandRadio zum Streik

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