Dienstag, 30. Mai 2023

You call it „Reporterglück“ – I call it „Desaster“

Die tagesschau „facebookt“ kurz nach der Live-Schalte Hamburg/Kairo: „Reporterglück“. Weiter: „Der entscheidende Moment: ARD-Korrespondent live aus Kairo | tagesschau.de“. Und weiter: „Jubel auf dem Tahrir-Platz in Ägypten: ARD-Korrespondent Armbruster berichtete in der Tagesschau um fünf live über die ersten Minuten nach der Nachricht, dass Präsident Hosni Mubarak zurückgetreten ist.“

Von Hardy Prothmann

Vermutlich knallten die Sektkorken in Hamburg. „Boah. Wie geil ist das denn? Wir haben es allen gezeigt. ALLEN! Wir waren auf Sendung! Live! Wir waren die ERSTEN. Wir sind das ERSTE. Da sag noch einer, WIR könnten es NICHT. Geil, geil, geil.“

Irgendein Restfunke von Realitätssinn muss denjenigen beseelt haben, der auf Facebook die Meldung mit dem Wort „Reporterglück“ eingestellt hat.

"Unglaublicher Jubel" - Live-Schalte Kairo-Hamburg. Quelle: ARD

Denn „glücklich“ konnte die ARD mit ihrer Berichterstattung aus Ägypten und Kairo bislang nicht sein – Reportagen gehen anders. Dass zufällig irgendein „Reporter“, in diesem Fall der seit Jahren eher „glücklose“ SWR-Korrespondent Jörg Armbruster um Punkt 17:00 Uhr auf Sendung war und dann den Rückritt Mubaraks vermelden konnte, ist tatsächlich mehr dem Glück, als dem Können zu verdanken.

„Ich hoff, die Meldung bestätigt sich.“

ARD-Korrespondent Jörg Armbruster (SWR) sieht zwar zu keinem Augenblick der 9,5-minütigen Live-Übertragung „glücklich“ aus, aber das ist egal. Sein „Report“ ist eher ein Apport von dem , was ihm „signalisiert“ wird.

Die tagesschau jubelt trotzdem , über das „Glück“, dass der Reporter vom 13. Stock eines Hotelzimmers auf Zuruf von anderen sagen kann, vermutlich 17:00:47 Uhr:

„Er ist zurückgetreten. Ich bekomme gerade die Meldung, ich bekomme gerade von meinen Kollegen signalisiert, dass Mubarak offensichtlich zurückgetreten ist. Das würde diesen unbeschreiblichen Jubel, der hinter mir hochkommt von der Corniche in unser 13. Stockwerk erklären. Ich hab noch keine Bestätigung dafür, aber die Kollegen signalisieren mir, Murabak, der nach Scharm-El-Shaich gegangen ist, heute nachmittag, ist wohl von seinem Amt als Präsident zurückgetreten. Ich hoff, die Meldung bestätigt sich.“

Korrespondent Armbruster kommentiert "vor Ort" Bilder auf dem "Fernsehgerät" im 13. Stock eines Gebäudes fernab des Tahrir-Platzes. Quelle: ARD

Armbruster „apportiert“ weiter: „Die Armee ruft mir gerade…“, und wird unterbrochen. „Herr Armbruster, wenn das, was jetzt gerade ihre Informationen sind, dann hätten sie das früher als alle Meldungen, als alle Eilmeldungen, also ich fass jetzt nochmal zusammen. Also nach ihren Informationen ist Hosni Murbarak soeben zurückgetreten?“

Signalisierte Informationen: „Ich bekomme jetzt gesagt.“

Man könnte jetzt das Desaster dieses Reporter-Auftritts als Transkription Wort für Wort aufschreiben – man kann es aber auch lassen und auf den Beitrag verlinken, der für sich spricht und den Zusammenbruch des Systems ARD und seiner Pseudo-Berichterstattung einfach mal einordnen.

Ohne dass jemand „vom Militär…“ oder sonstwer „signalisiert“.

Das, was der Moderator als0 „zusammenfasst“, beschreibt Armbruster, so ehrlich ist er, als: „Ich bekomme jetzt gesagt, die Armee übernimmt das Land.“

Und dann sieht er Bilder vom Tahrirplatz auf dem Fernsehgerät. Und der Moderator meint, es sei jetzt ganz „schwer zu spekulieren“. Und Armbruster sagt auf die Frage, wie es „weitergeht“: „Wie das Prozedere sein wird, weiß ich nicht.“

Dann erklärt er, das Militär habe ein Reformprogramm aufgelegt. Und dass das Land weiter verwaltbar sei, durch die „amtierende Regierung“, denn das „System Mubarak besteht weiter“.

Der Reporter und sein Mikro. Live vor Ort. 13. Stock.

Und dann fasst sich Jörg Armbruster ein Reporterherz, löst das Mikrofon aus dem Ständer, fordert die „Kamera“ auf, sich mit ihm dem Geländer zu nähern, hofft, dass die Zuschauer den „unbeschreiblichen Jubel“ dadurch besser hören können, indem er das Mikrofon über das Balkongitter hängt und die Bilder der Kamera zu sehen sind.

Die Kamera zoomt auf nicht wirklich viele Menschen vor dem „Studio“ im 13. Stock, der Moderator fasst für die „eben zugeschalteten Zuschauer“ nochmal zusammen, dass es so scheint, als sei Mubarak zurückgetreten und es gäbe einen „unbeschreiblichen Jubel auf dem Tahrir-Platz“ und „in der ganzen Stadt“, während die Kamera rund 200 Menschen auf der „Corniche“ zeigt.

Jörg Armbruster beschreibt den Standort, wenige Meter neben der „Zentrale der Lüge und der Propaganda“, also dem „ägyptischen Fernsehen“. Und dann „halt ich noch einfach mal das Mikrofon runter“. Irgendjemand pegelt das dann hörbar hoch.

„Unbeschreiblicher Jubel“ – vor allem bei Armbruster.

Was dann kommt, ist die erneute Beschreibung des „Unbeschreiblichen“ und viele viele Spekulationen, die Armbruster gar nicht schwer fallen.

Vielleicht doch, den Armbruster sagt: „Denn das ist meine kurzatmige Interpretation, mehr kann ich im Moment nicht bieten.“ Dann muss er häufig husten.

Und Armbruster ist berauscht: „Aber hören sie nochmal in den unbeschreiblichen Jubel hinein.“

Die Frage des Moderators, ob es eine Gefahr gibt, dass Ägypten ins Chaos gestürzt wird, kann sich Armbruster nicht vorstellen. Denn die Opposition formiere sich, obwohl sie in sich zersplittert sei, aber dabei sei, eine „wirkliche Oppositionsfront zu bilden.“

Uff.

Als ich mich durch die knapp zehnminütige „Live-Berichterstatung“ eines „Korrespondenten“ gequält hatte, war mir nicht mehr nach jubeln.

Soviel wurde deutlich: Herr Armbruster kann den „unbeschreiblichen Jubel“ gar nicht fassen und der Moderator fasst zusammen, dass man wohl mitten im Geschehen ist, sozusagen „Geschichte schreibt“.

Facebook-Meldung der tagesschau. Quelle: ARD

Und es wurde deutlich, dass Herr Armbruster Informationen signalisert bekommt, eventuell „durch das Militär“. Und dass er das Geschehen am Fernsehbildschirm verfolgt. Und dass er den „unbeschreiblichen Jubel“ mit seinem „einfach mal runter“ übers Gelände gehaltene Mikrofon einfängt. Und dass er eigentlich gar nichts weiß, nichts klar ist. Und er weitab von allem im 13. Stock irgendeines Gebäudes sehr aufgeregt ist, durch „signalisierte Informationen“, die er „gesagt bekommt“.

Live-Drama einer journalistischen Selbstvernichtung.

Aber all das reportiert er mit rollenden „Rs“ und Hustenanfällen. Und der Moderator fasst zusammen, für die „zugeschalteten“ Zuschauer.

Es hätte jede Menge Momente gegeben, die Situation zu dramatisieren und gleichzeitig das Desaster zu beenden. Schwarzblende, „Hallo, hallo“, kein Bild mehr: „Offensichtlich ist die Übertragung zusammengebrochen. Wir werden sie sobald wie möglich wieder mit Bildern von vor Ort informieren“, wäre ein leichtes gewesen und niemand hätte das überracht, das passiert schließlich auch bei geplanten Ereignissen nur zu häufig.

Stattdessen sendet die Tagesschau fast zehn Minuten das Drama eines „euphorisierten Korrespondenten“, der es gar nicht fassen kann, wie „unglaublich dieser Jubel“ ist. Lässt ihn live seine Inkompetenz in Szene setzen und zeigt ebenso live das Drama einer journalistischen Selbstvernichtung.

Verantwortlich für dieses Desaster ist nicht nur ein überforderter Armbruster, sondern die Senderegie in Hamburg, der Redakteur vom Dienst, der Leiter des Aktuellen und ganz sicher auch ARD-Chefredakteur Thomas Baumann.

Wer eine solch dilletantische Berichterstattung zulässt, hat längst jeden Qualitätsanspruch aufgegeben und sich mit einem „Standard“ unter Mittelmaß als glorreichstem aller möglichen Erfolge abgefunden.

Warnsignal Kurzatmigkeit.

Tatsächlich ist es aber noch bitter als man feststellen musste. Vermutlich bilden sich die „Entscheider“ in der ARD etwas darauf ein, dass man „live“ den Rücktritt Mubaraks „hatte“. Auf dem Balkon eines „Studios“ im 13. Stocks eines Gebäudes an einer Haupteinkaufsstraße weit weg vom Geschehen.

Ohne genaue Informationen, ohne ein Bild in Nahaufnahme, nur mit Ameisenköpfen unten auf der Straße und einem hochgepegelten Jubel.

Dieses Desaster, das zu erwarten war, weil die ARD seit langem schon journalistisch ebenso „kurzatmig“ ist wie der taumelnde Armbruster, müsste ganz ernsthaft ein Warnsignal sein.

Verjagt die Diktatoren in der Sendeleitung, die Diktatoren der journalistischen Inkompetenz, des reportierenden Desasters, diese Folterer des gesunden Menschenverstands, mag man dem ARD-schauenenden Volk zurufen.

Ohne jedes Schamgefühl.

Wagt die Revolution. Schreibt Briefe an die Gremien. Demonstriert vor dem „Hauptstadtstudio“. Lasst euch diese Unterdrückung nicht mehr gefallen.

Solche Gedanken sind natürlich ganz absurd, weil das tollaritäre System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit systemkonformen Parteisoldaten durchsetzt ist, die sowohl die Karrieren ihrer Gönner wie auch die eigenen befördern.

Pervers ist allerdings, dass sich niemand in diesem System für diese mehr als peinliche Sendung schämen wird.

Dieses Stadium hat man schon längst überwunden.

Link:
tagesschau: Der entscheidende Moment in Kairo

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