Donnerstag, 01. Juni 2023

Gleen Greenwald, Journalisten und die große Frage nach dem Selbstverständnis

Wer bin ich? Warum bin ich? Und wann bin ich wo was?

 

Mannheim, 29. Dezember 2013. Wow. Glenn Greenwald (46) hat nicht nur wesentlich das globale Überwachungsprogramm der NSA & Co. aufgedeckt, sondern aktuell auch eine Selbstfindungsdebatte ausgelöst über etwas, von dem viele eine scheinbar selbstverständliche Meinung haben: Journalismus. Die Zeit online-Redakteure Kai Biermann und Patrick Beuth behaupten, Glenn Greenwald habe die Grenze vom Journalisten zum Aktivisten überschritten. Der Beweis: Er sagte „wir“ statt „ihr“.

Von Hardy Prothmann

Ich behaupte mal, dass Kai Biermann und Patrick Beuth längst journalistische Aktivisten oder aktivistische Journalisten sind. Vielleicht ahnen die beiden das bereits und beschäftigen sich deshalb mit existenziellen Fragen: Wer bin ich? Was bin ich? Warum bin ich? Und wann bin ich was?

 

aktivist oder journalist

Quelle: zeit.de

 

Erstaunlich sind Formulierungen wie „Grundsätzlich könnte man“. Kann man jetzt oder könnte man nur? Und wollen Journalisten immer Debatten auslösen oder will das Autorenduo Biermann/Beuth das? Und wollen Biermann/Beuth, sobald sie ihre Pflicht erledigt haben, sich zurückziehen oder „könnte man grundsätzlich“ meinen, dass die beiden die Debatte auch anführen wollen? Wenn man nämlich die Aktivitäten beobachtet, mit der die Zeit-Autoren und deren Kollegen im eigenen Haus und bei anderen Redaktionen das Thema pushen, kann „könnte man grundsätzlich“ davon ausgehen, dass sie längst nicht mehr „beobachten, beschreiben“ und „Politik kontrollieren“, sondern als Aktivisten selbst „Politik“ machen wollen.

Um das in konkreten Zahlen auszudrücken: Der Artikel habe eine „lebhafte Debatte auf Twitter ausgelöst, nachzulesen in einem Storify von Steffen Konrath„. 24 Twitter-Kommentare sind dazu zu lesen – allerdings von nur 5 Verfassern. Patrick Beuth steuert 2 Tweeds bei, Kai Biermann 4, die Zeit online-Kollegin Juliane Leopold ganze 13, Steffen Konrath 3 und Glenn Greenwald ebenso 3.

Immerhin – bis zum späten Abend zählt Artikel 1 schon 220 Kommentare und der Folgetext 109 Kommentare. Und viele Leser/innen stellen ebenso wie ich eigene Fragen.

Was mir sofort aufgefallen ist: Der erste Faux-pas, der einem Glenn Greenwald vermutlich nicht passiert wäre, ist, dass die beiden Autoren, anders als behauptet, keine Frage gestellt, sondern eine Aussage getroffen haben.

 

freiheitskaempfer greenwald

Quelle: zeit.de

 

Im Teaser des Auftaktartikels steht keine Frage. Sondern eine klare Feststellung. Ebenso in der Überschrift. Im Text werden dann doch Fragen gestellt – aber die Aussage ist längst getroffen. Geht so „old school journalism“? Geht man so an das Thema dran, wenn man fragt, ob Journalisten keine Position oder Haltung einnehmen sollten?

Interessant ist der „Beleg“, den die beiden Zeit online-Journalisten anführen:

hacker

Weil er in einer Rede gegenüber vielen Menschen, die sich für das Thema interessieren, sich nicht wie ein Tagesschau-Sprecher geriert? Sondern eine Schnittmenge gemeinsamer Interessen bei Teilnehmern des 16. CCC-Kongress anspricht? Gegenüber Tausenden von potentiellen Informanten und Quellen? (Kommentar: Er wäre ja bescheuert, wenn er das nicht machen würde.)

Dabei stoßen die beiden vorgeblich eine aktuelle „Debatte“ an. Die allerdings ist schon immer von engagierten Journalisten geführt worden. Und Glenn Greenwald hat diese eben nicht „aktuell“ in seiner „Rede“ überschritten, sondern schon lange – sofern es diese Grenze überhaupt gibt, wie Tom Strohschneider schon ausführlich dargelegt hat – hier lesen.

grenze

Gegenfrage: Ist es verwerflich, die behauptende Frage zu stellen, jemand ziehe „nicht mehr klar eine Grenze“? Glenn Greenwald argumentiert seine Position äußerst klar, gründlich und wortgewaltig. Das ist das, was ihn als „Marke“ auszeichnet. Und das nicht erst aktuell zum CCC-Kongress, sondern schon seit langer Zeit und sehr umfangreich in der New York Times in einer Debatte mit dem Ex-Chefredakteur Bill Keller. Sehr interessant: Vor den Fragen nach der „journalistischen Mission“, „Charakter“ und „Werten“ geht es im Teaser um die Frage nach dem Geld.

 

nyt

Quelle: New York Times

 

Geht es bei der Frage um „Journalist“ und/oder Aktivist am Ende gar nicht um Inhalte, sondern vor allem darum, wer die wie, wann und in welchem Umfang wo als „revenues“ erhält? Eine solche Betrachtung lässt sich sicher nicht von der Hand weisen.

Erstaunlich ist, dass Glenn Greenwald von den Autoren Biermann/Beuth zunächst hoch gelobt wird. Akkuranz der Arbeit, Überprüfung seiner Quelle Edward Snowden, Recherche anderer Informationen, Befragung von „Betroffenen“ – der Kerl machte bislang alles richtig. Und wird entsprechend gelobt. Trotzdem steuert der zweite Teil der aktivistischen Kampagne bei Zeit online dann auf diesen schließenden Absatz zu:

 

fragen

Quelle: zeit.de

 

Woher kommt mit einem Mal die behauptende Frage, Glenn Greenwald habe „das Bemühen aufgegeben, alle Seiten zu fragen?“ (Wäre die Frage nicht angebrachter, welches Selbstverständnis zu dieser Frage führt? Beispielsweise mit der kleinen Provokation, wie man bitte schön hunderte Millionen Menschen, die „Seite“ sind, weil betroffen, alle fragen soll?) Vorher loben die Autoren den Mann doch für seine exzellente und vorbildhafte journalistische Arbeitsweise? Wie geht das zusammen?

Auch die FAZ greift das Thema auf und wedelt mit demselben Schwanz wie Zeit online auch: Greenwald stellt „die richtigen Fragen“. Doch hier taucht dann urplötzlich das Wort „schuldig“ auf.

 

Quelle: faz.net

 

Eine mögliche Erklärung für die „Infragestellung“ könnte exakt diese Exzellenz sein, die Greenwald so besonders und auch bedrohlich macht. Denn Greenwald fliegt der Erfolg scheinbar zu. Wie, bitte schön, soll das gehen, ohne dass man sich „schuldig“ macht?

Wie beschränkt die Sicht eines FAZ-Journalisten auf das Phänomen Greenwald ist, mag dieses Zitat zeigen: „In Debatten vor Kamera allerdings tritt er nur hierzulande ungewöhnlich aktivistisch auf.“ Hierzulande? Ungewöhnlich? Glenn Greenwald war über Skype als Keynote-Speaker über das Internet zu sehen. Weltweit. Und so, wie er sich durchgehend präsentiert.

Der studierte Jurist war anscheinend schon immer ein Quertreiber mit eigenem Kopf und geschliffener Rhetorik. Und dazu schwul und damit erfahren in Sachen Ausgrenzung. (Ich empfehle, sich die Zeit für diesen sehr eindrucksvollen Text im Rolling Stone zu gönnen.) Als Anwalt brachte er offensichtlich im Gerichtssaal selbst große Konkurrenten durch seine Akribie schon zur Verzweiflung – später faszinierte er als Autor für salon.com und der Guardian heuerte ihn gerne als Kolumnist an. Und Glenn Greenwald hatte dazu immer eine offene Meinung und eine klare Haltung (hier bei SPON).

Doch jetzt macht Glenn Greenwald sein eigenes Ding – abseits der traditionellen Medien und ihrer Internetableger. Er bekommt viel, viel Geld, um ein neues Medienunternehmen aufzubauen: „First look Media“ – das klingt fast wie eine Kampfansage.

 

omidyar

Quelle: heise.de

 

Man darf gespannt sein, wie es mit Glenn Greenwald weitergeht. Er ist ein brillanter Kopf, ein mitreißender Redner, er hat Humor, er führt ein exotisches Leben ohne ein Geck zu sein und er ist als Investigativ-Reporter ein Star. Aber er ist kein „klassischer“ Journalist mehr, der für „traditionelle“ Medien arbeitet, sondern einer, der viel Geld dafür bekommt, einen „neuen“ Journalismus auszuprobieren und möglicherweise zu etablieren. Transparent, meinungsstark und mit einer klaren Haltung. Ehrlicher geht es kaum.

Damit ist er mit seiner profunden Arbeit nicht nur für die NSA und andere Geheimdienste, für die amerikanische und britische Regierung eine Bedrohung, sondern auch für „klassische“ Medien, die sich wie die NYT um die „revenues“ alter Geschäftsmodelle Sorgen machen. Für Journalisten, die an alte Systeme nicht mehr glauben, ist er ein Vorbild.

 

true nyt

Quelle: Rolling Stone

 

Mal schauen, ob er der „Freiheitskämpfer“ im Spiegel der (alten) Medien so vorbildhaft bleibt oder irgendwann „hierzulande“ und anderswo als egoistischer Ideologe abgeurteilt und gebrandmarkt wird.

Die Fragen nach dem Wer, Wie, Was, Warum, Wo und Wann an Journalisten bringt er seit geraumer Zeit unters Volk. Und das Gute daran ist – diesen Fragen werden sich nicht nur Kai Biermann und Patrick Beuth, sondern viele Journalisten in Zukunft stellen müssen.

Auch das ist ein Verdienst von Glenn Greenwald.

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Über Hardy Prothmann

Hardy Prothmann (50) ist seit 1991 freier Journalist und Chefredakteur von Rheinneckarblog.de. Er ist Gründungsmitglied von Netzwerk Recherche. Er schreibt am liebsten Porträts und Reportagen oder macht investigative Stücke.