Der Frankfurter Tag des Online-Journlismus FTOJ 2010 war eine sehr lehrreiche, offene Veranstaltung und von einem netten Team gut organisiert.
Soviel „nettiquette“ muss sein 😉
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http://www.hr-online.de/website/specials/ftoj/index.jsp
(Tipp: Das Video zickt, einfach anstoßen, Ton aus, warten und dann, wenn der stream geladen ist,- neu von vorne gucken)
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Jetzt zur Sache: Christian Lindner, den ich immer „Chef“ nenne, ist ein netter Mensch und ein Chefredakteur, der einer sehr traditionellen Regionalzeitung vorsteht, der Rhein-Zeitung. Mit 160 Redakteuren hat er eine echt große Mannschaft.
Wissen muss man über Lindner, dass er die Zeichen der Zeit erkannt hat und sich sehr um Internet, Twitter, Facebook, wkw usw. ernsthaft kümmert.
Sehr lobenswert ist, dass „Chef“ keine Berührungsängste mit Leuten wie mir hat, obwohl ich nicht immer sehr fein mit „Lokal- und Regionalzeitungen“ umgehe. Nein – Lindner macht es richtig und hat mich sogar gegen Honorar vor einiger Zeit eingeladen, um mit seinen Lokalchefs über meine Arbeit zu sprechen.
Ob er selbst mit mir und meiner Arbeit insgesamt einverstanden ist, spielt dabei überhaupt keine Rolle für ihn. Er sieht, dass ich Erfolg habe, den „Talk of town“ bestimme und will was dagegen tun: „Sonst sehen wir alt aus.“
Schön auch, dass Lindner zum „Bratwurstjournalismus“ sagt: „Da hat er ja recht.“ Endlich hats mal einer offiziell zugegeben. Beim „Chef“ mache ich mir keine Sorgen, dass endlos Bratwürste produziert werden, der Mann steuert gegen.
Leider auch gegen mich. Huch, denken Sie jetzt? Eben war er doch so nett mit dem „Chef“? Bin ich und werde ich bleiben, weil das mit einem kultivierten Menschen wie Christian Lindner geht.
Ganz klar wäre die Situation aber eine andere, würde ich in seinem Berichtsgebiet meine Angebote aufbauen.
So bin ich ein Zeitungskonkurrent, der weit genug weg ist. Vor Ort wäre ich ein Zeitungskonkurrent, den er bekämpfen oder kaufen müsste. Ich bin sicher, ich würde ein Angebot erhalten.
Was ich auf der Tagung ein wenig zu thematisieren vergessen habe, hole ich hier nach.
Denn die Moderatorin und epd-Medien-Chefredakteurin Diemut Roether hat eine Frage gestellt und eine Haltung vertreten, die mir überhaupt nicht gefällt – auch wenn ich Diemut als Kollegin und Menschen schon lange kenne und sehr schätze.
Diemut sagte, es gäbe in Heddesheim das Aufreger-Thema Pfenning und ansonsten hätte ich noch keine weiteren großen Themen aufgetan und den Erfolg der blogs in eine Ecke mit Protestbewegungen àla „Anti-Atomkraft“ gesteckt.
Ich habe dann brav erklärt, dass Pfenning das Hauptthema ist, aber nicht die Hauptberichterstattung erhält.
Andere Themen sind: Landratsamt verletzt fortwährend den Datenschutz. Jeder Bericht erzeugte im Amt viel interne Post mit Hinweisen auf Datenschutzgesetze. Die erste große Story zum Hubschrauberabsturz nahe Viernheim stand auf dem heddesheimblog. In Ladenburg gibt es Zoff um ein Ballonfestival – auf dem Ladenburgblog wurde exklusiv über den Umzug des Festivals nach Mannheim berichtet. Und so weiter.
Das sind sicher nicht die Superdupper-alleweltredetdarüber-Themen, die die Republik bewegen – die Menschen vor Ort aber schon. Dort sind das Top-Themen. Selbst entdeckt, selbst recherchiert, mit Aufwand in Form gebracht und veröffentlicht.
Christian Lindner weiß das und guckt deshalb analytisch auf meine Arbeit, wägt ab, was ich gut und besser mache und weiß, dass vieles, was ich noch nicht so gut mache vor allem fehlenden Ressourcen geschuldet ist.
Aber auch er stößt wie Diemut Roether und andere in ein Horn, dessen Tonlage ich nicht ganz verstehe.
Wieso wäre es schlimm, wenn Zeitungen sterben, weil blogs die besseren Nachrichten und Themen machen?
Wieso muss man das verhindern?
Heißt das nicht, dass man das Schlechtere mit allen Mitteln bewahren will?
Kann das wirklich so gemeint sein?
Wohl kaum.
Es geht hier um viele andere Dinge – nämlich etablierte Systeme.
Zeitungen sind nicht nur einfach Zeitungen – daran hängen Politiker, Parteien, Vereine, Gemeinderäte, Geschäfte usw. Und man hat es sich miteinander eingerichtet.
Leider nicht zum Vorteil der Kunden, der LeserInnen, sondern oft sogar zu deren Nachteil.
Also gibt es ganz viele Systeme, die das System Zeitung so lange wie möglich erhalten wollen.
Andererseits stehen diese Systeme auch in Konkurrenz miteinander – wer zum neuen Medium Internet abwandert, gilt als verloren, je mehr gehen, umso mehr verlieren die alten Systeme.
Deswegen habe ich im vergangenen Jahr in Mainz gesagt, dass das Internet weitaus bedeutender ist als die Erfindung des Buchdrucks und die Französische Revolution.
Mit Internet meine ich nicht nur Zeitungen, blogs und social media, sondern alles, was übers Internet läuft. Von SAP-Programmieren, über die Börse bis hin zur oppositionellen Arbeit im Iran, was auch Thema hier vor Ort war.
Alle Revolutionen forderten Köpfe – die Internetrevolution ist bislang allerdings die unblutigste. Und sie erfordert Köpfchen.
Wer hier schlau ist, intuitiv und flexibel, wird viel Neues schaffen können, dem Altes weichen muss.
Mit tuts leid um die Zeitungen – mit denen bin ich aufgewachsen und lese sie auch gerne. Und bislang schafft kein Computer auch nur annähernd einen Vergleich zur, wenn vorhanden, opulenten Optik einer gut gemachten Zeitungsseite.
Aber das ist nur ein Baustein – fast alles andere, was früher nur die Zeitung konnte, kann das Internet heute besser.
Jakob Augstein, Verleger des Freitag, betreibt beides: Wochenzeitung und Internet nebeneinander.
Ich glaube, dass ist ein guter Ansatz und wird eine Stufe sein, die viele Zeitungen irgendwann gehen werden müssen. Sie werden nur noch ein oder zwei Mal wöchentlich erscheinen. Die Tagesaktualität läuft im Internet ab – das Papier bringt eine bewertete, ruhige Zusammenfassung. Sehr grafisch, sehr opulent. Sie spielt also ihre verbliebene Stärke aus.
Das Internet hat am Anfang viel von Print gelernt – mittlerweile muss Print vom Internet lernen.
Was macht das iPhone so spannend? Die vielen Apps? Auch, aber vor allem die Ikons. Alles so schön bunt hier und man kann mit den Händen und Fingern damit spielen.
Die Menschen wollen spielen – das iPhone erlaubt es ihnen. Da kann die Zeitung nicht mithalten. Sie kann aber grafisch stark sein – das sind aber leider nur die wenigsten und viele sind auch noch schlecht gedruckt. Das hat keine Zukunft.
Zukunft wird der FTOJ haben – eine schöne Veranstaltung, die immer wichtiger werden wird.
In diesem Sinne
wünsche ich einen schönen Tag
Hardy Prothmann
Achja: Viele Kollegen getroffen, was mich sehr gefreut hat. Und Robert Basic kennengelernt. Der existiert wirklich und will bald mit buzzriders kommen. Ich weiß nicht genau, was das werden soll, bin aber gespannt.
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