Heddesheim, 11. August 2011. Der Reporter Wolfgang Bauer hat sich beim Reporter-Forum befragen lassen, was er bei seiner Arbeit in Krisengebieten erlebt hat. Er schildert sehr anschaulich die Bedinungen, unter denen gearbeitet werden muss und gibt Hinweise, was man tun sollte und was nicht. Der Audio-Beitrag ist mehr als hörenswert – vor allem, weil Wolfgang Bauer ehrlich, nachvollziehbar und ohne Eitelkeit auch nicht an Kritik spart. Deutsche Medien sind überwiegend noch nicht einmal drittklassig, wenn es um Auslandsberichterstattung geht.
Erinnert sich noch jemand an den jauchzenden Jörg Armbruster, der die ägyptische Revolution in seinem Hotelzimmer und auf dem Balkon erlebte? Und daran, wie die ARD, beziehungsweise der Haussender SWR diese „Exklusivität“ bejubelte?
Es war ein Trauerspiel. Und man sollte den verantwortlichen Sendungsredakteur feuern, der den traurigen Reporterdarsteller Armbruster minutenlang der Lächerlichkeit preisgegeben hat. Währenddessen sendete Al-Jazeera live vom Tahir-Platz.
Meine persönlich ernüchternste Erfahrung habe ich 2004 in Thailand nach dem Tsunami gemacht. In den ersten Tage berichtete ich für deutsche Medien weitgehend alleine, bis die „Kollegen“ eintrafen.
Besonders auffällig war der ARD-Korrespondent Robert Hetkämper, der im teuersten Hotel in Patong residierte, gerne an der Bar saß, während draußen lokale Teams Bilder „einfingen“. Abends reportierte er dann: „In Khao Lak sieht es aus wie nach einem Atombombenangriff. Dort steht nichts mehr.“
Dieses dumme Geschwätz paart sich mit einer absoluten Überheblichkeit. Herr Hetkämpger weiß alles, auch wenn er nicht vor Ort ist. Zuletzt hat man ihn in Japan bewundern dürfen, wo er sich über blaue Anzüge der Fukushima-Angestellten lang und breit auslies.

Der Tag nach dem Tsunami. Überall auf den Pickups liegen Leichen in Säcke verpackt. Hardy Prothmann ist der mit der Mütze. Rechts daneben ein schwedischer Hörfunkkollege.
Das RTL-Team war an Zynismus nicht zu überbieten: Sie beklagten, dass ein Guide 300 Dollar pro Tag wollte: „Halsabschneider.“ Ich hatte mit dem jungen Mann gesprochen. 30 Jahre alt. Er hat seine gesamte Familie und damit seine Lebensversicherung verloren. 27 Menschen. Alles Hab und Gut. Aber er hatte noch ein Auto und sprach gut englisch und kannte sich aus. Das erzählte ich dem Reporter: „Der macht doch das Geschäft seines Lebens“, war die erbärmliche Antwort. Ganz sicher hat sich der Mann auch so bezahlen lassen, wie seine Auftraggeber aufgetreten sind: Teure Klammotten, teure Technik, angeberisches Gebaren. Wer zeigt, dass er Geld hat, muss das auch zahlen. Das ist eine Frage des Anstands.
Ein anderer „Kollege“ fragte mich im Krankenhaus zwischen all den Verletzten, wo man sich den abends „amüsieren“ könne – ich sei ja schließlich schon zwei Wochen da und hätte sicher einen Überblick. Ich ließ den Mann stehen – innig wünschend, dass er sich zumindest einen Tripper holt, besser noch die Gelbsucht.
Einen deutschen Arzt habe ich nachts um drei Uhr mit dem Moped über die Insel Phuket zum Interview in den Tagesthemen mit Anne Will gefahren. Als der Mann die mangelnde Unterstützung aus Deutschland kritisieren wollte, „hörte“ Frau Will den Arzt nicht mehr, angeblich war die Leitung zusammengebrochen. Ich fragte den Techniker eines Teams aus Singapur, ob die Leitung Probleme hätte: „No, works fine“, war die Antwort.
Meine Situation war genau so, wie der Reporter Wolfgang Bauer sie als am ungünstigten beschreibt. Ich hatte keine Vorbereitung, wenig finanzielle Mittel und nur mäßige Kontakte zu den Redaktionen. Eine „logistische“ Unterstützung schon gar nicht.
Jochen Wegner, damals bei Focus, und Klaus Brinkbäumer vom Spiegel zeigten sich am professionellsten. Jochen bestellte eine Story über das Desaster Victim Identification-Team aus Deutschland: „Kannst Du das, mit den Leichen? Du musst das nicht machen.“ Wir redeten darüber, was ich wie vorhatte und ich merkte, dass er wissen wollte, wie ich mit der Situation umgehe. Brinkbäumer schickte mir Informationen und aufmunternde Botschaften.
Alle anderen Zeitungs- und Hörfunkredaktionen bestellten einfach, erkundigten sich nur zum „Thema“, niemals zu den Arbeitsbedingungen oder ob ich irgendeine Unterstützung brauche. Stattdessen kamen Fragen wie: „Könnten Sie nicht noch mal schnell dahin fahren und O-Töne einholen von Leuten, die Familienangehörige verloren haben?“ „Mal eben schnell“ würde drei Stunden dauern, rund 120 Kilometer bedeuten und ganz sicher würde ich keinen Thai fragen: „Please explain, how you feel now…“ Diese Anfrage habe ich abgelehnt.
Der allergrößte Teil der Meute lungerte am Auffanglager in Phuket-City rum oder abends an den Hotelbars. Warteten auf die Presse-Briefings und irgendwelche Sprecher. In Khao Lak, in den Straßen von Patong, im Krankenhaus, in den Wohnquartieren der Thais, habe ich kaum „Journalisten“ gesehen. Aber immer wieder einen Hörfunkkollegen aus Schweden, einen Franzosen, zwei drei von der BBC und Norweger, die engen Kontakt zu ihren Landsleuten hielten. Der kollegiale Austausch war sehr gut. Auch die Arbeit der skandinavischen Hilfstrupps war vorbildlich – menschlicher, näher, perfekt organisiert. Und es war sofort erkennbar, wer in Asien lebt oder Auslandserfahrung hat und wer nicht. Man sieht das. An der Kleidung. Der Haltung. Dem Verhalten.
Als ich in Khao Lak am Tag nach dem Tsunami innerhalb von Stunden rund 600 Leichen gezählt habe, um das Ausmaß der Katastrophe abschätzen zu können, war es wichtig, diesen Horror nicht an sich heranzulassen. Das ist mir gelungen. Der freie deutsche Fotograf, mit dem ich zusammengearbeitet habe, wurde traumatisiert. Posttraumatisches Stresssyndrom nennt man das. PTSS. Anders als der Kameramann auf Haiti, von dem Wolfgang Bauer erzählt, wurde ihm keine Therapie bezahlt. Er musste alleine mit seinen Alpträumen klar kommen.
Die Leichen, das Sezieren – das sind harte Bilder, die ich nicht vergesse, die ich aber einordnen kann. Nach dem 11. September 2001 hatte ich mit vielen Kollegen über ihren Umgang mit Krieg und Krisen gesprochen und dann darüber geschrieben. Bettina Gaus von der taz blieb mir im Gedächtnis: „Du bist ein Profi. Du hast einen Auftrag. Nutze diese Distanz.“ Sie hat nichts vom Geruch erzählt. Wenn ich an die Leichen denke, kann ich sie heute noch riechen. Der Geruch ist erst süßlich, dann faul und geht nicht mehr aus der Nase.
Krisen- und Katastrophenberichterstattung ist wichtig. Sie beschreibt den Zustand der Welten, die nicht mehr in Ordnung sind. Und Menschen, die versuchen, sie wieder in eine Ordnung zu bringen. Dafür braucht es Zeit, Instinkt, Können und Verständnis. Und Geld je nach den Umständen.
Und idealerweise gute Kontakte in die „Heimatredaktionen“. Meine Erfahrung damals war überwiegend eher eine Katastrophe nach der Katastrophe. Wobei ich einzelnen gar keinen Vorwurf machen will – sie wussten und konnten es nicht besser. Verantwortlich sind die Redaktionsleitungen, die die Strukturen schaffen müssen. Aber wer will das schon?
Die Audio-Dokumentation mit Wolfgang Bauer habe ich sehr gut nachvollziehen können und empfehle sie dringend allen, die sich für Krisenberichterstattung interessieren. Aus welchen Gründen auch immer.
Wolfgang Bauer beim Reporterforum
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