Freitag, 31. März 2023

Der alte Besen kehrt wieder – Nikolaus Brender talkt bei n-tv

Heddesheim/Berlin, 03. Januar 2012. Aus aktuellem Anlass habe ich einen alten Artikel aus dem Archiv geholt, der gut in die Zeit passt. Nikolaus Brender, einen der profiliertesten Fernsehjournalisten, habe ich zu seinem Amtsamtritt beim ZDF Ende 2000 für die Fachzeitschrift CUT porträtiert. Ein Vollblutjournalist. Ein Mann mit Haltung und Humor und einer, mit dem im Zweifel nicht zu spaßen war. Einer mit Rückrat. Der Mann wurde zehn Jahre später vom damaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) und dem Parteienfilz im ZDF abgesägt. Brender hatte sich daraufhin zurückgezogen, jetzt fängt er neu an, bei n-tv.- 

Der neue Besen

Nikolaus Brender ist angetreten, das Informationsprogramm des ZDF zu renovieren. Die innere Strukturreform des Hauses erledigt er gleich mit.

Von Hardy Prothmann, Dezember 2000

Nikolaus Brender. Quelle: Wikipedia/ZDF, CC BY-SA 3.0

Spekulationen sind Alltag beim ZDF, seit der Neue an Bord ist. Es geht um Personen, Posten und Programm. Seit Januar streifte Brender durchs Haus. Er schaute, hörte, notierte. Schon im Januar kündigte sein Intendant Dieter Stolte Veränderungen an. Damals wirkte Brender noch hauptsächlich im Hintergrund. Aber der Countdown lief. Dann kam der 1. April: offizieller Dienstantritt. Nikolaus Brender rief die Redaktion für neun Uhr morgens zum Appell auf den Mainzer Lerchenberg. Ob das ein Scherz sei, fragte man, schließlich sei das ein Samstag. „Das kann jeder selbst testen“, sagte Nikolaus Brender. Die Mannschaft erschien vollzählig. Die Operation Brender war gestartet.

Auftrag.

Nikolaus Brender soll das ZDF entkrusten und neue Informationsmarken etablieren. Schnell gab er die Richtung vor: „Ich bin ein Reportagefreak.“ Ein neues investigatives Magazin könne er sich vorstellen. Futter fĂĽr den Flurfunk. Alle Informationsformate mĂĽssten auf den PrĂĽfstand. „Todeslisten“ kursierten: Praxis – das Gesundheitsmagazin, Auslandsjournal, Kennzeichen D, Frontal. Die Informationen flossen spärlich, aber kontinuierlich. Kaum ein Job, kaum ein älteres Format schien mehr sicher. „Ich kann verstehen, dass das nicht jedem Kollegen gefallen hat“, sagt der neue Chef.

Unter seinem Vorgänger Klaus Bresser lebte es sich wie an einem langen, ruhigen Fluss. Jetzt hieß es plötzlich: Auf zu neuen Ufern. „Ich sehe die Zukunft optimistisch. Auch wenn wir im Augenblick durch eine raue See steuern, werden wir unser Profil so schärfen, dass wir die Zuschauer von der Notwendigkeit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens überzeugen“, sagt Nikolaus Brender über das Ziel der Reise: Qualität als Konzept. Dass das keine Kreuzfahrt mit dem Traumschiff wird, muss man aus solchen Sätzen heraus hören: „Ich gehöre nicht zu den Jammerern.“ Solche Äußerungen sind typisch für ihn. Ein wenig verschleiert, aber durchschaubar: Entscheidungen durchsetzen, auch gegen Widerstand.

„Wer ist der Kerl?“, fragte man sich nicht nur im Sender. Soviel war schnell klar: Nikolaus Brender einschätzen zu wollen ist wie Lotto mit System spielen. Rein äußerlich ist er ein stattlicher Mann: 1,88 Meter misst er, breite Schultern hat er. Korrekt, aber uneitel der Aufzug; goldene Manschettenknöpfe sind der einzig auffällige Luxus. Die Augen schauen flink und prinzipiell freundlich. Die Gestik ist spärlich, aber wahrnehmbar, die Stimme ein solider Bariton. Die große Brille vermittelt Offenheit; einen gewissen rheinischen Humor hat sich der gebürtige Freiburger in langen Jahren beim WDR zugelegt. Er kann eine gemütliche, fast kumpelhafte Gelassenheit ausstrahlen. Vielleicht sagen deshalb manche Kolleginnen, er sei irgendwie ein Knuddelbär. Einer, bei dem man sich geborgen fühlt. Um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Über sein Privatleben gibt es keine Gerüchte, seine Frau ist Ärztin und sein Stolz ist die 14-jährige Tochter. Er ist bekennender Kirchgänger, hält aber nichts von dem, was aus Rom kommt.

Der Mann polarisiert. Manche sehen ihn als Machtmenschen, vor allem die Opfer der Brenderschen Reformen. Er sei erfüllt von einem soliden Selbstbewusstsein und habe am Rhein nicht nur Humor, sondern auch Klüngeln gelernt. „Ich versuche mit den Redaktionen und nicht gegen sie zu entscheiden“, sagt Nikolaus Brender. „Aber entscheiden muss ich letztlich, auch gegen Mehrheiten.“ Die Leute loben, dass bei ihm „die Tür offen steht“. Das war man von seinem Vorgänger nicht gewohnt.

Konkurrenz.

Peter Frey hat früher das ZDF-Morgenmagazin geleitet und auf den Weg gebracht. Heute ist er Hauptredaktionsleiter Außenpolitik und einer, der sich auch die Chefredaktion zugetraut hatte. Trotzdem äußert er sich deutlich positiv: „Es gibt jetzt ein Klima, in dem man sich Dinge traut.“ Was denn, Herr Frey? „Lebendigkeit, freien Umgang mit der Technik. Es gibt viele junge Leute und Moderatoren, die als Menschen und nicht als Sprechmaschinen auftreten.“ Zur persönlichen Konkurrenzsituation mit Nikolaus Brender sagt er: „Er hat sich hochanständig verhalten. Wir hatten ein sehr kollegiales Gespräch.“ Für sein Programm hofft er sich, nicht mehr so oft wegen Fußball oder ähnlichem ersatzlos auszufallen wie früher.

Und selbst in der ZDF-Innenpolitik, die den Ruf hat, so schwarz zu sein, dass man auf den Gängen eine Grubenlampe brauche, ist man voller Lob für den neuen Chef. Schließlich stärkt er mit dem Informationsprogramm die Rolle der Abteilung.

Startprobleme.

Gerade zwei Wochen im Amt, hatte Nikolaus Brender gleich ein für öffentlich-rechtliche Sender vergleichsweise schwerwiegendes Problem. Alexander Niemetz, Moderator des heute-journals, stand unter Verdacht, Journalismus mit PR verbunden zu haben. Da war die Glaubwürdigkeit bedroht: „Das war höchst unangenehm für den Sender und meinen Start“, sagt Nikolaus Brender. Herausgekommen war die Sache, weil ein kompromittierendes Fax angeblich versehentlich an epd geschickt wurde. Es folgten Berichte über eine Honorarzahlung an Niemetz-€™ Frau für einen Bericht im heute-journal. Zwar sprach das ZDF Niemetz das Vertrauen aus, seine Tage als Moderator aber waren gezählt.

Der neue Chefredakteur hätte auf diesen Skandal sicher gerne verzichtet, will die Entwicklung nun aber zum Vorteil des heute-Journals wenden. Er wünscht sich nämlich in heute einen Mann und eine Frau, die sich bei der Moderation abwechseln. Und da der selbstbewusste Chef-Moderator Wolf von Lojewski deutlich höhere Sympathiewerte verbucht, fügte sich die Sache trefflich. Die Annahme, Intendant Dieter-  Stolte habe ohne Rückfrage beim Chefredakteur Niemetz vom Schirm genommen, lässt Nikolaus Brender unkommentiert. In der FAZ war als Zitat zu lesen: „Er ist Beschäftigter des ZDF, mit vielen Verdiensten. Diesen Verdiensten gemäß wird er eingesetzt.“ Zufällig entfährt einem Nikolaus Brender eine solche Doppeldeutigkeit sicher nicht. Selbst seine Gegner bestätigen ihm, exzellent und wortgewandt zu formulieren. Das neueste Gerücht vom Flurfunk sagt, dass die Nachfolgerin gefunden sei und aus dem Hause ZDF komme.

Werturteile.

„Natürlich bin ich unberechenbar“, zitierte die taz den neuen ZDF-Chefredakteur. Das ist man in Mainz nicht so recht gewohnt. Bislang konnte sich jeder hier zuverlässig auf die Dualität des Systems und seiner Personalpolitik verlassen: der eine wird rechts besetzt, der andere links. Parteienproporz. Nikolaus Brender sagt dazu: „Ich habe hier persönlich keine Hypotheken abzuarbeiten.“ Er fühle sich nach Jahren im föderalen System der ARD im Zentralismus des ZDF ein wenig einsam, wird über ihn berichtet. Und dass er sich lieber im Studio herumtreibe, als in irgendwelchen Gremien. Was sagt er selbst?

Warum eigentlich weigern Sie sich, die Freundeskreise des Fernsehrates zu hofieren, Herr Brender?

„Ich bin als Journalist und nicht als Hofrat angestellt.“

Und wie ist das mit den politischen Tickets? Fahren Sie nicht mit SPD-Ticket?

„Ich fahre gerne Ski. Wie ich rubriziert werde, ist die eine Sache, die andere, ob ich mich einordnen lasse. Man sollte mich nach dem beurteilen, was ich mache.“

DĂĽrfen Journalisten ĂĽberhaupt ein Parteibuch haben?

„Das Parteibuch ist nicht das Problem. Es ist aber ein Unterschied, ob man eines hat oder organisiert aktiv tätig ist. Letzteres ergibt Loyalitätsprobleme für Journalisten. Auch ohne Parteibuch beweisen manche Kollegen Abhängigkeiten, übrigens auch von anderen Interessengruppen als den Parteien.“

Und wie wĂĽrden Sie sich selbst einordnen?

„Offen und unabhängig mit eigenen Werturteilen. Als Journalist fühle ich mich besonders der Wahrheit verpflichtet.“

Und als Mensch?

„Ich bin in einem Jesuiteninternat groß geworden. Gerechtigkeit und Solidarität waren die Prinzipien, auf die unsere Gemeinschaft fußte. Verdammt wichtig war das in einem Laden, in dem 800 Jungs nach der persönlichen Eigenständigkeit suchten. So wurden wir erzogen und so erzogen wir uns selbst.“

Vorarbeit.

Nikolaus Brender hat beim Südwestfunk das Fernsehhandwerk gelernt und schrieb am Anfang seiner Karriere auch für die Zeit. Redakteur, ARD-Reporter, Südamerika-Korrespondent. „Meine schönste Zeit hatte ich in Buenos Aires.“ Verschiedene Preise. 1989 kehrt er als Auslandschef des WDR nach Deutschland zurück. Gerade als Weltspiegel-Moderator erarbeitet er sich den Ruf eines kompetenten Journalisten und Präsentators. Chefredakteur und dann Programmdirektor wurde er auf ausdrücklichen Wunsch von Intendant Fritz Pleitgen. In beiden Funktionen baute er die Regionalberichterstattung des WDR-Fernsehens massiv aus. Ob ihn die Aufgabe wirklich begeistert hat, bezweifeln ehemalige Kollegen. Gleichzeitig vermuten sie aber beim Jesuitenschüler ein tiefes Pflichtgefühl. Hier habe er gelernt, Konzepte mit Kollegen zu erarbeiten und durchzusetzen, sagt er selbst: „Es ist egal, was man macht, gegrummelt wird immer und überall.“

Beim WDR war es der Vorwurf der Provinzialisierung (siehe auch Seite 52). Wenn im Münsterland ein Milcheimer umfalle, schicke der Brender einen Ü-Wagen. Da lacht er herzlich. Solche Bilder mag er: „Da ist was dran. Aber ich musste Präsenz im Lande zeigen, um den Zuschauern zu signalisieren: Wir sind da.“ Als er noch im Ausland gewesen sei, habe man sich beim WDR mehr Gedanken über Sierra Leone und Peru gemacht, als über die Landwirtschaft in Nordrhein-Westfalen. Kein Wunder, sagen Spötter, schließlich war der Brender ja vor Ort.

Eine seiner Lieblingssendungen ist Zimmer frei. „Die Unterhaltung kam nicht zu Potte und wir krebsten bei 3,9 Prozent Quote.“ Und das Sommerloch stand bevor. Nur ein paar Wochen blieben, um ein Format zu entwickeln. „Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht so recht, was ich machen sollte“, sagt Nikolaus Brender. Er holte Kollegen der tagessschau, der Wirtschaft, der Innenpolitik und von der Radiowelle Eins Live zusammen: „Das waren nur Infoleute, aber die haben dann drei Konzepte entwickelt – und eines war’s dann.“ Die Deko machte eine Volontärin und weil die Zeit knapp war, produzierte der WDR die Sendungen als Staffel, zwei bis drei Ausgaben pro Tag. Das war damals noch auĂźergewöhnlich. „Es hat keiner geklagt, allen hat das Experiment groĂźen SpaĂź gemacht.“ Darauf ist er stolz. Dieses Jahr hat die Sendung den Grimme-Preis bekommen.

Nicht alles wurde gut. Die Sendung des kürzlich verstorbenen Sportjournalisten Addi Furler, Addis Stunde, setzte Nikolaus Brender wegen mangelnder Quote und zu altem Publikum als „mediales Altersheim“ ab. Und „Eins Live TV war eine Kopfgeburt“, sagt er heute. „Wir gingen davon aus, dass das Radio uns für eine halbe Stunde Zuschauer ausleihen würde.“ Die Quote der öffentlich-rechtlichen Jugendsendung mit Viva-Touch war katastrophal; nach zwei Monaten starb das bimediale Projekt.

Aus beiden Misserfolgen hat er einen Schluss gezogen: „Sie können in einem Vollprogramm keine jungen Leute erreichen, wenn das Umfeld nicht stimmt und Sie dürfen die Alten nicht vom Rest der Gesellschaft durch eine andere Art spezifischer Sparte ausschließen.“ Aus „Kästchenfernsehen“ sollte ein drittes Vollprogramm mit „mehrheitsfähiger Prime Time“ entstehen. Seinen Auftrag, das Legitimationsproblem zu lösen, hat er erfüllt. 1998 stand die Quote bei 6,2 Prozent, 1999 bei 6,7 Prozent. Tendenz steigend, Mission beendet.

Was ist öffentlich-rechtliches Fernsehen heute, Herr Brender?

„Nichts anderes als früher schon. Unser Auftrag ist es, die Generationen zusammenzuführen. Allen gemeinsam eine Basis an Information und Unterhaltung zu bieten, die die Gesellschaft zusammenhält.“

Was halten Sie von Big Brother?

„Phänomene wie Big Brother setzen Spitzen, aber verändern nichts.“

Was gefällt Ihnen bei den Privaten?

„Mir persönlich gefällt Günter Jauch gut, der Mann hat Format. Er holt alle Generationen vor den Schirm.“

Ein Vorbild fĂĽr das ZDF?

„Im Bereich der Unterhaltung ist Jauch ein Vorbild für alle Sender.“

Reform.

„Jauch ist richtig gut, das ist das Schlimme an ihm“, bestätigt auch Programmdirektor Markus Schächter, im Hause ZDF traditionell der Gegenspieler zum Informationsprogramm. Programmdirektor und Chefredakteur buhlen um Sendungen, um andererseits gemeinsam zu betonen, dass jeder den anderen braucht: Quote und Qualität sind des Senders Credo. Ein Wunder, dass noch niemand die Qualitätsquote erfunden hat. Andererseits könne das ZDF es sich gar nicht leisten, drei Mal die Woche so ein Format wie Jauchs Stern TV Sendung zu bringen. Da ist man schon froh, fĂĽr weitere fĂĽnf Jahre Thomas Gottschalk und Wetten, dass … zu haben. Allerdings unter veränderten Vorzeichen: Der Gummibärchenmoderator ist Geschäftsmann und will die Sendung mit seiner Firma Dolce Media vermarkten. Markus Schächter kann sich Wetten, dass …-Reisen vorstellen und andere „solche Geschichten“: „Im Umfeld der Nachverwertung lässt sich sicher allerhand Geld verdienen.“ Die Gewinne werden geteilt.

Die Programmreform stützt er: „Wir sind nur als ganzes Haus zu verstehen.“ Genau wie Nikolaus Brender sieht auch er die zentrale Aufgabe darin, Mehrheiten und Minderheiten im Programm zusammenzuführen: „Quotenstarke Formate wie unsere Krimis und der Montagsfilm führen die Zuschauer auch an die Informationssendungen heran.“ Die wiederum würden in der 21.00 Uhr-Schiene den besten Sendeplatz mit der höchsten Zuschauerreichweite bekommen. Über die angestrebte Verjüngung des ZDF sagt er: „Wir haben zugelegt, jeder weitere Schritt auf die 40- bis 35-Jährigen zu ist Millimeterarbeit.“

Weil Nikolaus Brender das WDR-Fernsehen erfolgreich überarbeitet hatte, eilte ihm beim ZDF der Ruf des Quotenfetischisten voraus. Damit konfrontiert, antwortet er ähnlich überrascht, als hätte man ihn gefragt, ob Bonn am Rhein liegt: „Selbstverständlich bin ich ein Mann der Quote.“ Und „der öffentlich-rechtliche Auftrag verpflichtet uns, mit guter Information möglichst viele Leute zu erreichen. Das kann man nicht voneinander trennen. Es ist mir nicht gleichgültig, mit welchem Programm ich möglichst viele Zuschauer erreiche: Es muss ein seriöses, umfassendes Informationsprogramm sein. Die Debatte um die Quote ist deswegen Haarspalterei.“

Statistisch steht das gebührenfinanzierte Fernsehen gut da. Sämtliche Analysen zeigen die Tendenz: Information findet wenn, bei den Öffentlich-Rechtlichen statt. Nach der Programmanalyse der Media Perspektiven sendete das ZDF 1999 im Schnitt 650 Minuten pro Tag Informations- und Bildungsangebote, die ARD kam auf 635, RTL auf 334 und SAT.1 auf 276 Minuten. „Das können Sie quantitativ nicht mehr steigern“, sagt der Planer Nikolaus Brender. „Das Ziel dieser Programmreform ist ein klares Einschalt-Angebot: Ihr kriegt jeden Tag um 21.00 Uhr Information.“ Der Dienstag soll ab April dem neuen Politmagazin gehören, dass auf dem Weg zur Entscheidungsvorlage vom „investigativen“ zum „zeitkritischen Format“ mutierte. Mittwochs läuft ZDF.reporter, donnerstags das auslandsjournal; der Freitag gehört der Reportage.

2001 soll einen Neuanfang bringen. „Das schaffe ich am ehesten auch mit neuen Köpfen“, sagt Nikolaus Brender. Die als Seniorensatiriker verspöttelten Moderatoren Bodo Hauser und Ulrich Kienzle standen mit Frontal schon konzeptionell für das überholte Proporzdenken im Sender. Außerdem fehlte der Biss aus früheren Jahren, vielleicht, weil Ulrich Kienzle gesundheitlich nicht mehr auf der Höhe war. Die Quote hatte verloren, vielleicht wegen eines schlechteren Sendeplatzes. Also streichen. „Die Zuschauer wollen heute keine stupiden Rechts-Links-Kämpfe mehr sehen.“ Zumindest nicht, wenn sie nicht gut gemacht sind. Nach innen bedeutet das Revolution, auf dem Schirm weniger Politikerparolen aus den jeweiligen Lagern. Statt Wie würden Sie entscheiden? kann man sich beim ZDF eher richtiges Gerichts-TV vorstellen. Also weg damit. Die streitlustige Mit mir nicht-Maria von Welser hatte keine überzeugende Quote wie WISO und eine weniger gute Lobby als Mona Lisa, das trotz Spartencharakter und schwacher Quote weitersenden darf. Kennzeichen D hatte den Ruf, eine Altlast des kalten Krieges zu sein. Dessen Redaktionsleiter Olaf Buhl wehrte sich und zog alle Kontaktstrippen. In der taz wunderte er sich: „Quote und Qualität waren nie umstritten.“ Die Berliner Morgenpost würdigte die Verdienste des hochdekorierten Magazins. Nikolaus Brender fand es trotzdem nicht mehr zeitgemäß.

Schnell waren Moderatorennamen im Umlauf. Maria von Welser soll sich Hoffnungen gemacht haben. Sie leitete zunächst die „Kommission“, die die Sendungen konzipierte. Dann kamen die Fakten. Kennzeichen D, Frontal und Mit mir nicht! werden ausgemustert. Stattdessen: „Undercover – das Magazin ohne Namen“, wie es einer im Sender spöttisch nennt. Erst wurde der Name des ZDF-Chefreporters Claus Richter als Präsentator gehandelt – und dann, groĂźe Ăśberraschung, London-Korrespondent Theo Koll kommt nach Mainz. Und Maria von Welser geht nach London. So viel Verwirrung war schon lange nicht mehr auf dem Lerchenberg. Plötzlich schraubte wieder einer am System.

Programm.

Rückblickend, gesteht Nikolaus Brender, sei bei seinem Einstand nicht alles optimal gelaufen. Das Gerücht zum Beispiel, er wolle Dieter Stolte beerben: „Ich bin nicht daran interessiert. Basta!“ Eigentlich kann er bislang aber nicht viel falsch gemacht haben. Gemessen an der Größe des Umbaus hat das Ganze nämlich recht wenig medialen Staub aufgewirbelt. Das bestätigt sich der neue Chef auch selbst: „Über 50 Positionen und rund die Hälfte der Redaktionsleitungen sind neu besetzt worden. Da kann man kein Tohuwabohu brauchen.“ Motivation und Disziplin verpackt er in solche Sätze: „Solange ich nicht enttäuscht werde, bleibe ich offen.“ Mit anderen Worten: Der neue Besen Brender fegte den Krämerladen ZDF erstaunlich unauffällig durch. Ein Staubwölkchen hier und da ließ sich aber kaum vermeiden.

Im ausgehenden Sommerloch hatte es besonders Die Zeit auf das ZDF und Brender abgesehen: Die „Quotenidioten“ und „Vorsicht, Quotenfalle“ wurde getitelt. Dafür zückte die früher analytisch arbeitende Zeit ein Papier, das alles belegen sollte, aber nichts als ein Notizzettel aus den Planungsanfängen war: Themen wie „Ist Rotwein gut gegen Herzinfarkt“ sollen das neue Politmagazin bestimmen. ZDF.reporter würde gar effekthascherische Themen wie „Ninja-Training in der schnellen Eingreiftruppe“ bringen. Der geschasste Niemetz durfte sich böse über Sendungen auslassen, die von „Hiwis und Studenten“ gemacht würden. Im Sender grassiere die Angst, schrieb das Blatt. Bis heute fehle jedes vernünftige Konzept für das Politmagazin.

Nikolaus Brender kommentiert das nicht mehr. „Jetzt wird gearbeitet und nichts verkĂĽndet“, sagt er. Und das in Hotels oder Privatwohnungen – hinter verschlossenen TĂĽren. So viel dann doch: Es gehe darum „Leute im Leben abzuholen“, das politische Magazin soll sich um das Zusammenwachsen und die Vielfalt Europas, den Generationenkonflikt und die Frage kĂĽmmern: Was darf der Mensch? In bezug auf Gentechnik und Umweltprobleme.

Nikolaus Brender setzt auf Wissenschaft und Geschichte. Davon will er mehr haben im Programm. Selbst wenn Guido Knopps Holocaust nicht die hohen Quotenerwartungen erfĂĽllte, so ist doch zumindest das Renommee hoch. Wer dann fragt, ob alles nach den Methoden der Geschichtswissenschaften erarbeitet sei, der muss sich anhören, man sei hier beim Fernsehen und nicht im wissenschaftlichen Kolloquium. Und – hier könnten sich Unterhaltung und Information treffen, im ZDF-Kosmos also Programmdirektor und Chefredakteur: Gerade hat Dieter Stolte eine „Space-Show“ angekĂĽndigt, die, von Endemol produziert, das Big Brother-Konzept auf eine neue Umlaufbahn bringt. Zehn Kandidaten trainieren fĂĽr einen Weltraumspaziergang, einer darf dann in die Rakete.

Nikolaus Brenders Lieblingskind aber ist das neue Magazin ZDF.reporter. Vier Reporterinnen und vier Reporter sollen „die gesellschaftliche Lebenswirklichkeit vor allem in Deutschland und seinen Regionen anschaulich und nachvollziehbar machen.“ Rund sechs StĂĽcke sollen pro Sendung zu sehen sein, zwischen vier und elf Minuten lang. Leiter und Moderator wird Hallo Deutschland-Moderator Steffen Seibert, eine Entdeckung des Morgenmagazins, der Talentschmiede des ZDF-€™. Kritiker sehen in ihm die Personifizierung des Boulevards. „Ich war Amerika-Korrespondent und habe im Aktuellen gearbeitet. Hallo Deutschland ist eine Sendung fĂĽr buntere Themen“, sagt er selbst. „Jedes Format hat seine Gesetze und ich bereue nichts, was ich gemacht habe.“ Selbstbewusst ist der Mann – ganz wie sein Chefredakteur.

Thomas Bellut, Hauptredaktionsleiter Innenpolitik, gefällt die neue Marschrichtung. Heute sei eher Aktualität als Hintergrund angesagt. Die schon jetzt im Programm deutlich häufigeren Was nun, … ? und spezial-Sendungen seien ideal, aktuell zu reagieren und trotzdem HintergrĂĽnde zu vermitteln: „Auf die Zuschauergewohnheiten zu reagieren nenne ich Professionalisierung des Geschäfts.“ Selbst, wenn man nur Stichwortgeber ist, wie es bei den umstrittenen Kohl-Interviews den Anschein hatte? „Kohl hat uns sicher instrumentalisiert“, gibt Thomas Bellut zu. „Aber er hat viel mehr gesagt, als er sich vorgenommen hatte.“

Nachfrage: Wird das Fernsehen nicht zunehmend von Politikern instrumentalisiert, Herr Brender?

„Wenn Sie auf Helmut Kohl anspielen: Ich habe noch keinen Chefredakteur der sonst so TV-kritischen Zeitungen erlebt, der ihm das Gespräch verweigert hätte. Bemerkenswert allerdings ist, dass die Nachrichtenseiten der Tageszeitungen unsere Fernsehinterviews ausgiebig zitieren. In der Fernsehkritik derselben Blätter werden wir regelmäßig runtergeschrieben. Wie passt das zusammen?“

Wie investigativ kann Fernsehen sein?

„Das Fernsehen hat es besonders schwer, da es zum Beweis Aussagen vor der Kamera benötigt oder konkrete Unterlagen. Es treten aber nur wenige Leute direkt vor die Kamera, um etwas aufzudecken.“

Und – letzte Frage: Sind Sie eigentlich mit ihrer bisherigen Arbeit zufrieden?

„Ich bin hier mit klaren Vorstellungen angetreten und habe bislang auch alle Punkte umgesetzt, die mir wichtig waren.“

Nachtrag zur weiteren Entwicklung, Stand Januar 2012: Peter Frey ist nach dem Weggang Brenders Chefredakteur des ZDF geworden, Thomas Bellut wird im März Intendant des Senders.

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