Sonntag, 24. September 2023

Affäre Wulff: Jede Menge Rücktritte vonnöten

Heddesheim/Berlin, 07. Januar 2011. Der Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff wird erwartet. Und jede Verzögerung ist eine Zumutung. Mittlerweile gibt es aber auch andere Kandidaten, die sich überlegen sollten, ob ein kontrollierter Rücktritt sie vor dem Schicksal von „Wer-Wulff“ bewahrt. Einer heißt Ulrich Deppendorf – Wortspiele drängen sich auf, aber dafür ist die Lage zu ernst.

Von Hardy Prothmann

Ganz ehrlich? Es reicht. Ich habe wie viele Menschen in diesem Land keinen Bock mehr auf das Berliner Theater. Aber das spielt weiter.

Der Bundespräsidentendarsteller Christian Wulff ist gehörig ausgebuht und ausgepfiffen worden. Vollkommen zu recht. Denn seine Vorstellung ist selbst für ein Provinztheater aka „Der zerbrochene Krug“ noch zu peinlich.

Wer vermutet hat, es ginge um einen Rosenkrieg zwischen zwei „Potentaten“, hier Wulff, dort Diekmann – der denkt zu kurz.

Bei dieser Aufführung ist ein ganzer Stall von festgefahrenem Darstellervolk unterwegs. Und dieses Pack heißt Hauptstadtjournalismus.

Das ist eine Bagage von Hinterzimmerjournalisten, Bundespressedingsbumsteilnehmern, Borchadt-Stammgästen, Schniefnasen und Dauerschluckis, blondgefärbten, zurechtgefönten Sympathieträgern oder inbrünstig öffentlich-rechtlich gepämperten,- brummenden Wichtigtuern sowie schneidigen Springersoldaten. Von pseudo-alternativen Tazlern und anderen freitäglichen Linksintellektuellen bekommt man ab und an auch was mit.

Diese Horde hat dem Buprä genau eins gemeinsam: Sie verhalten sich vollkommen losgelöst von jeder Realität zum Normalen. Sie wissen nicht mehr, wo die Leute „draußen“ sind, sie haben keinen Platz mehr in der „Mitte der Gesellschaft“.

Sie hängen in den Hinterzimmern rum, noch ein Bier, noch nen Schnaps. Warten auf das nächste Gerücht und auf die Chance, die eigene Karriere voranzutreiben.

Und es gibt auch die, die schon Karriere gemacht haben, aber längst nicht mehr wissen, warum eigentlich.

Dazu gehört Ulrich Deppendorf.

Eigentlich ein ganz netter Typ. Ich habe ihn vor Jahren mal getroffen und porträtiert.

Damals war er ein „öffentlich-rechtlicher“ – bedacht, immer zwischen den Parteiinteressen ausgewogen.

Heute sucht er nach Sinn. Interviewt erst den Bundespräsidenten, um zwei Tage später Gerüchte live in der Tagesschau zu kolportieren. Alles im Konjunktiv und vom Teleprompter abgelesen.

Es geht beim Thema Wulff um Ehre, um Anstand, um Vorbild. Und um die Frage, ob dieser Typ zurücktreten muss. Ich meine ja.

Und damit meine ich nicht nur Wulff.

Wenn ich mir aber den Ring betrachte, in dem Show-geboxt wird, dann finde ich, dass Herr Deppendorf sich die Frage stellen muss. Ebenso wie Herr Diekmann. Die Frage lautet: Kann ich das, was passiert und die Art, wie ich daran teilhabe noch vertreten oder sollte ich zurücktreten?

Vermutlich hätte das eine sehr überraschende, aber auch sehr reinigende Wirkung. Wulff, Diekmann, Deppendorf treten geschlossen zurück und machen den Weg frei für Anstand, unterhaltendes, statt schmieriges Boulevard und öffentlich-rechtlich sauber durchgeführten Auftrag.

Darf man drauf hoffen? Eher nicht. Die Eitelkeiten sind mittlerweile zu groß, um sich unauffällig zu verteilen.

Wenn Wulff geht, was richtig wäre, sollten auch Herr Diekmann und Herr Deppendorf ihren Hut nehmen – denn sie sind genauso wenig Vorbild.

P.S.
Die Kommunikationsabteilung von Wulff sollte natürlich auch geschlossen zurücktreten und mindestens ein Jahr ins Kloster gehen.

Print Friendly, PDF & Email