Sonntag, 08. Dezember 2019

Schreckliche Bilder

Traue keinem!

syrian girl

Traue keinem – auch, wenn Du ihm vertraust. (Hinweis, 20.2.2014: Wolfgang Blau hat auf seinen Post reagiert – siehe Text.)

 

Mannheim, 19. Februar 2014. (red/pro) Der Journalist Wolfgang Blau hat ein Foto von zweifelhafter Herkunft auf Facebook gepostet. (Achtung: Der Post wurde gelöscht, die Begründung steht hier.) Und ich habe ihm und dem Foto für Sekunden vertraut. Das war ein Fehler. Einer, der mich tatsächlich schwer getroffen hat.

Von Hardy Prothmann

Wolfgang Blau kenne ich nicht persönlich, sondern nur über das Netz. Ich weiß um seine Reputation und gehe davon aus, dass diese sehr gut ist.

Gestern hat Wolfgang Blau einen Link gepostet – das Foto zu dem Link zeigt eine blutverschmierte Frau, die von einem Mob gesteinigt wird.

Ich habe seinen Namen gesehen, innerlich hat mein Check-System gesagt, der ist einer von den guten, vertrauenswürdigen und dann viel mein Blick auf das Foto. Und das hat mich geschockt.

Es hat mich wirklich getroffen – einfach so. Wolfgang Blau – Reputation – Foto – Päng. (Hier der Link.)

1994 habe ich nach dem Tsunami in Khao Lak innerhalb von vier Stunden persönlich rund 600 Leichen gezählt. In einem Kloster, wo rund 300 abgelegt waren, den Rest in der Bucht verteilt, auf Pick-ups oder auf  Haufen. Alle waren grotesk aufgebläht, die Brüste der Frauen waren groß wie Medizinbälle, die Hautfarbe fahl gelb-grünlich-grau, die Gliedmaßen standen ab, aus Löcher in den Körpern zischte und blubberte es und der Geruch war penetrant.

Bis heute hatte ich nie einen schlechten Traum. Wenn ich daran denke, rieche ich sie aber sofort wieder. Aber auch das macht mir nichts aus. Ich war vor Ort, als Berichterstatter, professionell und wusste, dass es hart sein wird. Und ich habe vor allem Bettina Gaus zu verdanken, dass ich ohne Posttrauma da rausgekommen bin. Nach 9/11 hatte ich Kriesenreporter gefragt, wie man mit solchen Grenzerfahrungen umgeht. Bettina Gaus hat mir die Geschichte vom professionellen Mantel erzählt – den konnte ich umlegen.

Den kann man umlegen, wenn man vorbereitet ist. Wer nicht vorbereitet ist, ist schutzlos.

Wolfgang Blau hat mich schutzlos getroffen, weil ich ihm vertraut habe. Mein Fehler. Blöd nur, dass es diesen Stich ins Herz gab. Die Fassungslosigkeit. Die Wut. Die Hilflosigkeit. Mitten ins Herz. Und der Gedanke, sich über die Frau zu werfen, um sie zu schützen, so erbärmlich, wie sie auf dem Bild aussieht.

Wolfgang Blau hat sich für das Posten des Bildes einer Frau, die angeblich gesteinigt wird, entschuldigt, weil es vermutlich ein fiktives Bild ist, ein Screenshot aus einem Film. Das respektiere ich.

Aber ich appelliere dringend, sehr dringend, dass man die erste Wahrheit des Krieges ernst nehmen muss: Traue keinem. Niemals. Weder einem Wolfgang Blau, noch dem Guardian, noch sonstwem. Noch nicht einmal sich selbst – wenn man Journalist ist.

Nur diese Haltung bewahrt vor Schaden. Für einen selbst und andere.

Dieses Foto hat mich geschockt. Warum? Einfach so. Die zarte, erbärmliche Haltung des Opfers. Die dunkle Kulisse des Mobs. Die Vorstellung, wie die Steine den Körper und den Kopf treffen. Die Endgültigkeit des sicheren Todes. Stein um Stein. Verletzung um Verletzung. Blutverlust, Brüche, bestialische Brutalität. Und gleichzeitig eine Art perverse Ästhetik des Bildaufbaus, der an eine Bühne erinnert. Ein blutiges Theater mit tödlichem Ausgang.

Deswegen habe ich nach dem ersten Schock sofort daran gezweifelt, ob das Bild echt ist. Ich wollte das kommentieren, aber ich war zu sehr geschockt. Wolfgang Blau! Der wird das doch geprüft haben! Wie kann ich das in Zweifel ziehen ohne mich lächerlich zu machen?

Fuck. Traue keinem. Und im Zweifel mach dich lächerlich. Besser einmal zu viel, als einmal zu wenig.

Dieses Foto hat mich den ganzen Tag verfolgt. Und der Zweifel.

Was, wenn ich nur ein Leser wäre, der Medien vertraut? Was, wenn ich nicht mehr geschaut hätte? Was, wenn der Eindruck ohne Prüfung sich verfestigt hätte? Wer wäre verantwortlich? Wolfgang Blau oder ich selbst, weil ich einem Journalisten nicht hinterher recherchiere?

Jetzt lese ich, dass die Szene „unecht“ ist – vermutlich. Ich habe es nicht geprüft, weil ich noch zu beeindruckt bin. Vielleicht ist es auch unecht echt, weil es eine wahre Begebenheit zeigt? Vielleicht ist es erfunden und beschreibt tatsächliche Steinigungen? Wer hat es gemacht und warum? Wie soll es wirken? So, wie auch mich? Entsetzlich? Was soll damit bewirkt werden, was ist die Absicht? Tatsächliche Steinigungen anzuprangern oder Steinigungen propagandistisch zu behaupten?

Wolfgang Blau gibt den Fehler zu – das ehrt ihn und bestätigt mein gutes Bild von ihm. Er hat einen Fehler gemacht und redet nicht lange drum rum. Gut so.

Schlecht ist, dass mich dieses Foto wirklich getroffen hat. Weil Wolfgang Blau es gepostet hat. Ohne Kommentar. Motto: Das brauche ich nicht kommentieren, das steht für sich. Und ich ihm vertraut habe. Ich habe die Adresse angeschaut und wollte ihn nachfragen, ob diese vertrauenswürdig ist. Aber ich war zu geschockt. Ich wollte das Opfer nicht durch Zweifel noch mehr entehren. Und vielleicht wollte ich mich auch nicht wichtig machen, aufdrängen oder blöd wirken.

Warum auch immer. Das war ein Fehler.

Traue keinem. Selbst wenn Du ihn schätzt.

Wir leben in einer totalen Krise der Glaubwürdigkeit. Ich wünschte mir von Wolfgang Blau, dass er nicht einfach nur einen Kommentar schreibt, dass er sich geirrt hat und zu „schnell“ war, sondern dass er das „Syrian girl“ und seinen Fehler zum Thema macht.

Ehrlich mit sich und mir und allen umgeht – öffentlich und transparent. Und journalistisch.

Nachtrag:
Das hat Wolfgang Blau gemacht und ist hier nachzulesen. (Er hat auch versucht, hier zu kommentieren, was nicht geklappt hat, was er aber sicher nochmal versucht und dann hoffentlich hinhaut. Wenn das der Fall ist, lösche ich die Klammer.)

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Über Hardy Prothmann

Hardy Prothmann (50) ist seit 1991 freier Journalist und Chefredakteur von Rheinneckarblog.de. Er ist Gründungsmitglied von Netzwerk Recherche. Er schreibt am liebsten Porträts und Reportagen oder macht investigative Stücke.