Samstag, 03. Juni 2023

Systemunterschiede – Ich und Herr Braun hatten einen Fehlstart

Heddesheim/Bayreuth, 01. Juni 2011. Es ist immer wieder erstaunlich, wie viel man durch Kommentare ĂŒber Menschen erfahren kann. Die Art der Reaktion, die Wortwahl, die gewĂ€hlten Perspektiven sind mitunter sehr aufschlussreich – manchmal ergeben sich daraus interessante Geschichten, wenn man sich zu einer Blitzrecherche inspirieren lĂ€sst.

Von Hardy Prothmann

In Bayreuth hat vor kurzem Joachim Braun als neuer Chefredakteur beim Nordbayerischen Kurier angefangen. Joachim Braun muss man nicht kennen, journalistisch ist er bis heute nicht weiter auffÀllig geworden.

Er kommt aus Bad Tölz, wo er Lokalredaktionsleiter eines örtlichen Bratwurstblattes war (Tölzer Kurier, 10.000 Auflage), das zum MĂŒnchner Merkur gehört und der wiederum zur Ippen-Gruppe, die einen, sagen wir mal, nicht gerade guten Ruf hat. Nach der Übernahme des Merkurs gab es, „erhebliche Personalreduzierungen„. Auch das journalistische Renommee ist eher bescheiden.

Herr Braun hat sich mit seinem Umzug nach Bayreuth zumindest bei der Auflage deutlich verbessert und ist jetzt Chefredakteur ĂŒber eine Zeitung mit 36.000 Exemplaren. Wie viele es Ende des Jahres sind, wird man abwarten dĂŒrfen. In den vergangenen zwei Jahren hat die Zeitung fĂŒnf Prozent Auflage verloren.

Seit Herr Braun in Bayreuth ist, trĂ€gt er eine neue Brille und blogt (nicht ausrecherchiert, vielleicht hat er die neue Brille schon in Bad Tölz getragen). „Ankommen in Bayreuth“ nennt er sein Blog und schreibt ĂŒber dies und das. Am 25. Mai 2011 ĂŒber die „AlltĂ€gliche Versuchung.“ Darin geht es um ein Angebot, dass er nicht annehmen wollte.

Ich fand den Text blöd und habe ihn kommentiert und Herr Braun hat geantwortet:

Herr Braun möchte Gewogenheit. Die kriegt er. Wenn sich jemand so stilisiert und um Aufmerksamkeit bittet, dann nehme ich mir gerne ein wenig Zeit.

Im Sommer 2010 erklĂ€rt Herr Braun in einem Video fĂŒr die „Drehscheibe“ (das ist eine Einrichtung der Bundeszentrale fĂŒr politische Bildung fĂŒr Tageszeitungen, bei der Herr Braun bis 2008 in einer Arbeitsgruppe tĂ€tig war), warum es so schwer ist, junge Leute fĂŒr ein Volontariat zu begeistern. Der Tölzer Kurier bietet dem Nachwuchs ein einjĂ€hriges Praktikum, „von dem man zur Not auch Leben kann“, bis sich entscheidet, ob man ein Volo kriegt. Das sei keine VerlĂ€ngerung der Volo-Zeit auf drei Jahre.

Sehen Sie selbst:

Im Februar 2011 gibt er beim 19. Forum Lokaljournalismus (Drehscheibe) ein Interview, in dem er sagt: „“NĂ€he zum Rathaus ist gefĂ€hrlich und bequem“. Er meint, das sei RealitĂ€t in vielen Gebieten.

NatĂŒrlich nicht bei ihm, denn er wiedersteht der „AlltĂ€glichen Versuchung“.

Wie nah sein jetziger Arbeitgeber und das Rathaus sich stehen, mĂŒsste er als informierter Journalist eigentlich wissen. Immerhin vermarktet der das Internetangebot der Stadt Bayreuth.

Im Stadtrat hat die CSU mit 13 Sitzen die Mehrheit, die SPD liegt dahinter. Einer der GrĂŒndervĂ€ter des Nordbayerischen Kuriers, Julius Steeger, war Landtagsabgeordneter der SPD. Die SPD wiederum hĂ€lt ĂŒber die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft mbH 47,5 Prozent an der Nordbayerischer Kurier GmbH & Co. Zeitungsverlag KG, die wiederum ist wie die allermeisten deutschen VerlagshĂ€user an allem möglichen beteiligt, vorwiegend „Unterhaltungsradiosendern“. Den grĂ¶ĂŸten Reibach macht der Verlag aber vermutlich mit mehreren kostenlos verteilten AnzeigenblĂ€ttern.

Herr Braun arbeitet also in einem unabhĂ€ngigen Verlag, der zugleich als Vermarkter fĂŒr die Stadt tĂ€tig ist, Auflage und Gewinne vor allem ĂŒber AnzeigenblĂ€tter macht und an dem zu einem gewichtigen Teil eine frĂŒhere Volkspartei beteiligt ist und redet von „gefĂ€hrlicher, bequemer NĂ€he“ und „alltĂ€glichen Versuchungen“, ĂŒber die er aber seine Leserinnen und Leser nicht informiert, weil die das gar nicht interessiert?

Das ist sehr interessant.

Auf seinem Blog schreibt er richtig „böse“ ĂŒber Guttenberg:

„Ja, die Bundesreform, sie sollte fĂŒr den Freiherrn der große Wurf bleiben und stellt sich jetzt als Rohrkrepierer heraus, weil die Berufs- und Freiwilligenarmee Bundeswehr auf der Strecke zu bleiben droht, wie heute der CSU-Verteidigungsexperte Silbermann im Radio sagte.“

Geschenkt, was er mit der „Bundesreform“ eigentlich sagen wollte. In der von ihm verantworteten Zeitung liest sich das anders:

Lobhudelei auf Guttenberg. Quelle: Nordbayerischer Kurier

Erstaunlich auch der Einstieg in den Text. Oder eigentlich nicht. Entweder-oder-Fragen gehören zum Handwerkszeug bratwurstender Lokaljournalisten und als Chef muss Herr Braun das natĂŒrlich beherrschen.

Entweder-oder-Philosoph Braun. Quelle: Ankommen in Bayreuth

Im Deutschlandradio sagt er, dass seine Zeitung „Guttenberg“ von zwei Seiten betrachtet habe, von der politischen und der lokalen Ebene. Sein erster Arbeitstag war der RĂŒcktrittstag von Guttenberg – das verbindet.

Er bestĂ€tigt eine „Indifferenz“, weil „viele Leute“ Guttenberg immer noch toll finden.

http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2011/05/12/drk_20110512_0812_eba5fee0.mp3

WĂ€hrend er findet, dass sich die Uni „mit dem Kommissionsbericht einigermaßen frei geschwommen hat“, finden das andere Medien nicht und halten das nach wie vor fĂŒr einen Skandal. Nicht so Herr Braun, in seinem weichgespĂŒlten Interview mit Wissenschaftsminister Heubisch (FDP) darf der Text so enden.

Und was soll man jetzt von all dem halten? Von der SPD-NĂ€he, der Rathaus-VerlagsnĂ€he, den miesen Arbeitsbedingungen in der Verlagsbranche? Dudeligen Interviews mit WohlfĂŒhlcharakter?

Im „StreitgesprĂ€ch“ mit Christian Jakubetz sagt Herr Braun:

„Soziale Netzwerke im Internet sind aber nicht der Feind. Wir mĂŒssen sie zu unseren VerbĂŒndeten machen und mit ihnen Reichweite, Einfluss, vor allem aber die Kommunikation mit unseren Kunden, den Lesern, verbessern. Das geht nicht von selbst. DafĂŒr sind VerlagsgeschĂ€ftsfĂŒhrer nötig, die bereit sind, auch mal ins Risiko zu gehen und zu experimentieren, statt beim Personal zu sparen.“

Wie sehr sich sein derzeitiger Arbeitgeber in dieser Richtung bemĂŒht, ist bei den Stellenangeboten im Verlag festzustellen.

Gesucht werden ZeitungsaustrÀger, Praktikanten, Auszubildende und VolontÀre.

Das GeschÀftsmodell, dass Herr Braun beim Nordbayerischen Kurier umzusetzen hat, ist so definiert:

„Mit der EinfĂŒhrung des Multi-Channel-Desks und der rĂ€umlichen ZusammenfĂŒhrung aller redaktionellen Einheiten sollen die einzelnen Medienkanale entsprechend ihren Anforderungen mit hoher Kompetenz versorgt werden. Dies erfordert klare Strukturen und Hierarchien in einer Tageszeitungsredaktion, die mehr denn je im Wettbewerb der Medien steht und mit hoher QualitĂ€t auf und in allen KanĂ€len Antworten geben muss. Mit Herrn Braun installieren wir eine operative FĂŒhrung der Gesamtredaktion des Nordbayerischen Kuriers und kommen somit den Anforderungen der Leser und der Gesellschafter nach“, so die Verleger und GeschĂ€ftsfĂŒhrer des Verlages, Wolfgang Ellwanger, Dr. Laurent Fischer und Michael RĂŒmmele.

Wie das in der Praxis aussieht, beschreibt Herr Braun unter dem Titel: „Mobbing, nein keinesfalls.“

Vermutlich ist Herr Braun in Bayreuth angekommen.

Vermutlich werden Herr Braun und ich uns nie verstehen – wir sind einfach Vertreter unterschiedlicher Systeme.

Da ist ein Fehlstart vorprogrammiert.

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