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Freitagabend-VorabgerĂŒcht ĂŒber, ja was eigentlich?

Spieglein, Spieglein – an der Wand?

Mannheim/Hamburg, 05. April 2013. (red/pro) Das Hamburger Abendblatt meldet, der Spiegel-Verlag wolle sich von den beiden Chefredakteuren Georg Mascolo und Mathias MĂŒller von Blumencron trennen. Die beiden Alphas seien seit 2011 aneinandergeraten, Mascolo stehe in der Kritik wegen „verfehlter Titel“ und sinkender Auflage, Blumencron wegen fehlender Umsetzung einer neuen Online-Strategie. Jetzt sollen beide rausgeworfen werden und schon wird Handelsblatt-Chefredakteur Gabor Steingart als neuer (alleiniger) Spiegel-Chef ins Spiel gebracht. Mal ehrlich? Geht`s noch?

Von Hardy Prothmann

Krise wohin das Auge reicht. Die (alten) Medien haben massive Probleme. Punkt. Und der Spiegel zeigt auch keinen Ausweg, obwohl Spiegel Online (SPON) dem Vernehmen nach profitabel arbeiten soll.

Das Problem: SPON hat dafĂŒr gut 15 Jahre gebraucht, die nötige Kohle kam vom Print. Selbst wenn SPON aktuell einen eigenen Gewinn erwirtschaften sollte, sind die 15 Jahre Alimentation noch nicht zurĂŒckbezahlt und ganz sicher wird SPON nicht die nĂ€chsten 15 Jahre den Spiegel aushalten können.

Der Spiegel verliert kontinuierlich an Auflage und sicher noch mehr an Umsatz – die fetten Jahre sind vorbei, die AnsprĂŒche aber sicher hoch und die Mitarbeiter mĂŒssen ihre Lebensstandardvereinbarungen erfĂŒllen, Sie wissen schon, mein Haus, mein Auto, mein Boot. Dazu meine Recherche, mein Titel, meine ExklusivitĂ€t…

Meine was bitte?

Das ist die entscheidende Frage und der SchlĂŒssel, mit dem man eine Kiste mit noch mehr Fragen aufmacht. Mit brutalstmöglichen Fragen, die gerade (hoch-)kochen.

Soviel vorab: Gabor Steingart wĂ€re die grĂ¶ĂŸtmögliche Fehlbesetzung, die man sich denken kann. Arrogant, selbstherrlich und nullkommanull qua Arbeitszeugnis geeignet. Der Spiegel braucht keine Gabor-Show, sondern eine Lösung.

Mascolo und Blumencron sind gute Leute und es wĂ€re fatal, wenn der Verlag sich von beiden trennen wĂŒrde. Mascolo mag rĂŒde sein. Na und? Das Leben ist kein Zuckerschlecken und der Spiegel wollte nie Focus sein. Blumencron ist zu sehr Boulevard? Na und? Damit hat er SPON vorangebracht.

Was viele nicht kapieren ist, dass die Zeiten sich verÀndert haben. Das haben nicht nur die beiden nicht kapiert, das kapieren auch viele andere beim Spiegel (und woanders) nicht, vor allem die mit dem Haus, dem Auto und dem Boot.

Die Zeiten werden sich nicht nur vorstellbar brutalstmöglich entwickeln, sondern das ganz einfach tun. Ob das jemandem gefÀllt oder nicht.

Das Kernproblem des Spiegels ist: Er hat seine ExklusivitĂ€t verloren. Und selbst, wenn er sie hat, kann er sie nicht eine Woche lang halten. Heißt: Das Spiegel-Magazin ist eine Publikationsform von gestern. Überholt, veraltet, nicht zukunftsfĂ€hig. Erledigt.

Die Lösung fĂŒr das Problem kann erarbeitet werden. Sie wird online sein und sie kann Pay-Content sein.

Der gedruckte Spiegel als wöchentliches Exklusiv-Format ist out. Das Exklusiv-Format, in welcher Form auch immer, wird die Zukunft sein. Und zwar dezentral und verteilt.

Ein erstes Beispiel? Der Spiegel hat als Zentralorgan des investigativen Journalismus die AffÀre Wulff ausgerollt. Eingesammelt hat den Fall die BILD. Der Spiegel muss sich ziemlich verarscht vorgekommen sein. Das trifft auch zu, weil BILD und der Springer-Verlag viel cleverer sind.

Ein zweites Beispiel? Wikileaks sollte ein Paradebeispiel fĂŒr investigativen Journalismus sein. Bis auf ein paar blöde Westerwelle-Zitate ist nix rausgekommen – mal abgesehen von der Schuld an der MittĂ€terschaft zur Aufdeckung vieler Quellen – der journalistisch brutalstmöglichen SĂŒnde.

Das alte GeschÀftsmodell der gedruckten ExklusivitÀt funktioniert immer schlechter, weil man es sich damit zu einfach macht. Printjournalismus der Zukunft wird mehr Arbeit machen, aber die kann sich lohnen, wenn man nicht arbeitsscheu, sondern vor allem ehrgeizig ist. Und vor allem eins versteht: Die gewohnten Veröffentlichungszyklen sind nicht zu halten.

SPON ist die Marke, die der Spiegel-Verlag konsequent und ohne Kompromisse vorantreiben muss. Der Spiegel ist die Marke, die der Spiegel-Verlag neu erfinden und zu anderen Konditionen neu vermarkten kann.

Der Vergleich mag gewagt erscheinen, aber ich denke beim Spiegel und SPON an Brockhaus und Wikipedia. Das Ergebnis ist bekannt.

Das entscheidende Kriterium ist Angebot und Nachfrage und Zeit. Und der Ort. Und der muss dezentralisiert werden, die zentralistische Planwirtschaft der gespiegelten Information wird in Zukunft nicht mehr funktionieren. Vielleicht noch ein, zwei , fĂŒnf Jahre. Aber nicht lĂ€nger.

Fatal fĂŒr den Spiegel sind Eitelkeiten und SelbstĂŒberschĂ€tzung. Sollten die nicht ĂŒberwunden werden, droht das Brockhaus-Syndrom. Drei Monate vor Einstellung und danach erfolgter Abwicklung habe ich noch mit dem Verlag ein Interview gefĂŒhrt, in dem mir erklĂ€rt worden ist, dass „die Kundschaft“ – ich schreibe das jetzt groß – NIEMALS auf den „Wissenschatz“ verzichten wĂŒrde.

Der Spiegel hat wie Brockhaus ein enormes Potenzial. Und jede Menge gute Leute. Aber der Markt verlangt vermarktungsfĂ€hige Angebote und die Konkurrenz ist grĂ¶ĂŸer denn je. Der Brockhaus hat nach langer Geschichte versagt – was macht der Spiegel?

Ich persönlich fĂ€nde es sehr bedauerlich, wenn der Spiegel die selben arroganten Fehler macht, wie sie Provinzzeitungen gemacht haben. Wenn der Spiegel denkt, er könne „Spieglein, Spieglein  an der Wand, wer ist der bedeutenste im ganzen Land“ aufrufen und sich darauf ausruhen will, dann befinden wir uns im Bereich der MĂ€rchen und wie blutig die oft ausgehen, kann man bei den GebrĂŒdern Grimm nachlesen.

Auf Papier, im Brockhaus von 1964 oder eben schnell mal auf dem Smartphone oder dem Tablet.

Wie ihr wollt. Moment, ist das richtig? Google. Ach. Sorry. Was ihr wollt (Wikipedia, Anm.: Man beachte Verfassung und erste Druckausgabe):

Die Komödie Was ihr wollt (engl. Twelfth Night, or What You Will) wurde von William Shakespeare um das Jahr 1601 verfasst. Der erste Druck findet sich in der Folioausgabe von 1623, das Datum der UrauffĂŒhrung, die in Middle Temple Hall stattgefunden hat, ist der 2. Februar 1602, Lichtmess (John Manningham, Tagebucheintrag vom 13. MĂ€rz 1602). Im elisabethanischen England endete mit diesem Tag die Weihnachtszeit.

Oder anders: Lest mehr Shakespeare, dann wisst ihr, was euch blĂŒht.

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Über Hardy Prothmann

Hardy Prothmann (50) ist seit 1991 freier Journalist und Chefredakteur von Rheinneckarblog.de. Er ist GrĂŒndungsmitglied von Netzwerk Recherche. Er schreibt am liebsten PortrĂ€ts und Reportagen oder macht investigative StĂŒcke.