Donnerstag, 09. Februar 2023

Wird Edward Snowden den größten politischen Skandal der Nachkriegsgeschichte auslösen?

Lauf, Edward, lauf

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Einer, der die Pfeife geblasen hat und zum gefährlichsten Mann der Welt geworden ist. Der Whistleblower Edward Snowden.

 

Mannheim/Berlin, 03. Juli 2013. Der Whistleblower Edward Snowden versetzt weltweit Regierungen in Angst und Schrecken. Seine Enthüllungen über Spionage- und Überwachungsaktivitäten der NSA (National Security Agency) werden möglicherweise weltweit politische Konsequenzen nach sich ziehen. Vor allem in Deutschland gibt es jede Menge Fragen – die Antworten könnten äußerst unangenehm werden.

Von Hardy Prothmann

Dass seine Entlarvung das Ende meiner Kanzlerschaft bedeuten würde – ich wusste es nicht und ahnte es nicht einmal.

Möglicherweise schreibt die amtierende Bundeskanzlerein Angela Merkel (CDU) mal diesen Satz beim Amtsvorgänger Willy Brandt (SPD) ab. Der legendäre Altkanzler wurde eiskalt erwischt, als sein Referent Günter Guillaume am 24. April 1974 als Stasi-Spion verhaftet worden war.

Wer wusste was?

Sollte sich bewahrheiten, was als Gerücht in Umlauf ist, dass die Bundesregierung oder einer der drei bundesdeutschen Geheimdienste oder die Länder-„Nachrichtendienste“ oder andere staatliche Stellen Kenntnis von der massenhaften Überwachung von Deutchen, EU-Bürgern, Politikern und Unternehmen durch die US-amerikanischen Spionageprogramm PRISM und Boundless Informant oder das britische Tempora hatten, ist Angela Merkel Geschichte.

Eiskalt erwischt. Nicht vom kalten Krieg, sondern von der Kälte der neuen systmatischen Maschinenkriegsführung über den Datawar.

Das gilt auch für das Gegenteil. Wenn weder einer der „Nachrichtendienste“ noch eine andere staatliche Behörde Kenntnis von der Superspionnage hatte, muss man die Frage stellen, was diese Behörden taugen? Ist das nicht der absolute Super-Gau? Komplett-Überwachung und die Schlapphüte bekommen genau gar nichts mit? Kann das sein? Müssen die nicht schnellstens wegen Unfähigkeit abgewickelt werden (siehe NSU und die mittlerweile drängende Frage, ob Verfassungsschutz nicht gleich Nazitum ist)? Ohne Zuschläge, weil sie offensichtlich auf breiter Front versagen?

Dass es sich um eine Front handelt, dürfte jedem verständigen Menschen sofort klar sein. Spionage ist widerlich, aber sie gehört zum Menschsein dazu. Man versucht, über einen Informationsvorsprung Vorteile zu erlangen. Spionage ist systemimmanent, weil der Menschen Vorteile nicht gerne teilt. Und die moderne Welt des „sharing“, die ein wenig revolutionär ist und von vielen, die Neuland betreten, auch nicht im Ansatz und wenn, als Bedrohung verstanden wird, steht konträr zur Menschheitsgeschichte, die trotz Drittem Reich, 68-er, Antiatomkraft, Wende und Wiederaufbau irgendwie seit 200 Jahren stehen geblieben ist. Alle reden von Aufklärung – im Zweifel meint das einE geheimdienstliche.

Der Blick zurück offenbart keine gute Entwicklung: Schon während der Periode „Kalter-Krieg-Feindbilder“ hat sich Amerika als „Vorreiter-Land“ entschlossen, sich Ersatzfeinde zu schaffen. Und wenn keine tatsächlich und eindeutig definierten da sind, werden sie erfunden, wie im Irak-Krieg (oder davor in Südamerika oder in Südostasien – same procedure as it ever was).

Einfache Feinbilder vs. jeder ist ein potenzieller Feind

Früher waren Feindbilder einfach zu definieren. Doch die Welt wird komplizierter und deswegen wird grundsätzlich jeder zum Feind erklärt. Die Menge ist dann so groß, dass sich immer der Beweis finden wird, um diese Haltung zu rechtfertigen. Jeder kann Feind sein, hat man unter Millionen Menschen einen gefunden, kann man klar sagen: Hier ist der Beleg – ein Feind wurde gefunden, deswegen ist die millionenfache Überwachung gerechtfertigt. Bingo, basta, Schluss mit jeder Debatte.

Der Orwell’sche Albtraum „1984“ des Eric Arthur Blairwird tritt mit rund 30 Jahren Verspätung ein. Nicht in der Art, wie sich „Orwell“ die Geschichte ausgedacht hat – die war fiktiv und ist auch nicht wirklich vorstellbar. Ihr fehlt das „produktive Element“. Überwachung ohne wirtschaftliche Prosperität erledigt sich irgendwann selbst. Siehe DDR und andere sich selbst vernichtende Systeme.

Die entscheidende Frage ist, ob die USA-Regierungssysteme nicht durch ihr Verhalten eine rückwärtige Vorschau auf DDR-ähnliche Verhältnisse liefern. Wie gesagt – ohne wirtschaftliche Entwicklung ist eine Überwachung irgendwann nur noch eine Überwachung, aber keine Entwicklung mehr. Ganz im Gegenteil. Vermutlich ist das eine zutreffende Beschreibung für die ehemalige Weltmacht USA, die nun auf dem Niveau einer Stasi-Diktatur angekommen ist. Mit einem „Hoffnungsträger“ an der Spitze, der scheinbar nur noch damit beschäftigt ist, sich zu assimilieren und zum Ober-Assi mutiert ist. Das muss man Barack Obama nicht persönlich verwerfen – das ist eine fast normale Entwicklung für Assimilierte.

Angela Merkel ist auch eine Assimilierte. Und vermutlich ist es ein entscheidender Fehler, sie fälschlicherweise „Mutti“ zu nennen. Denn das ist sie nicht. Eine Mutti wendet immer Schaden von ihren Zöglingen ab. Zumindest versuchst sie das bis zur Selbstaufgabe. Das ist FÜR Angela Merkel ein fremdes Gefühl.

Frau Angela Merkel ist Bundeskanzlerin und sie hat einen Amtseid geschworen. Danach muss sie Schaden vom Volk abwehren. Das Volk sind wir alle. Auch dieses Gefühl und den Eid muss man als Volk „gefühlt“ in Frage stellen.

Aktuell hat es seit geraumer Zeit einen Angriffsschaden auf uns, das Volk, gegeben. Der Aggressor ist ein scheinbar Verbündeter. Wenn Frau Merkel nicht unter Einsatz aller ihr zur Verfügung stehenden Mittel den Schaden umgehend und nachvollziehbar zu begrenzen versucht, handelt sie gegen ihren Eid und ist ihres Amtes nicht würdig.

Einige werden wohl dotiert zurücktreten vs. anderen muss man das Überleben wünschen

Wenn sich herausstellen sollte, dass Frau Merkel schon länger über den Schaden Kenntnis hatte, muss sie nur noch eine Handlung vollziehen und zurücktreten. Möglichst schnell – ob das „geräuschlos“ geht, darauf hätte sie keinen Einfluss mehr.

Edward Snowden darf man nur wünschen, dass er nicht aus Versehen verunglückt oder irgendwie erkrankt.

Er ist kein Held nach gängigen Definitionen. Aber er ist die wichtigste Quelle der Neuzeit. Seine Veröffentlichung ist geeignet, die absolut umfangreichsten politischen Umstürze aller Zeiten in Gang zu setzen. Damit meine ich, dass weder der Buchdruck, noch die französische Revolution, noch das Dritte Reich an die Dimension heranreichen, die die Enthüllungen des Edward Snowden ausmachen. Bislang war eine Totalüberwachung nicht möglich und nur als visionäres Schreckgespenst mit Diktaturen in Verbindung gebracht worden. Dass ein vermeintlich demokratisches Land hier neue Maßstäbe setzt ist eigentlich unfassbar. Aber Realtität.

Der ehemalige NSA-Mitarbeiter Snowden ist ein Whistleblower. Die Spione der NSA nennen ihn einen Spion – wie absurd, wenn Spione andere der Spionage bezichtigen. Die Ankläger einen Verräter – auch das absurd, wenn Verräter sich zur moralischen Instanz erheben und verfassungsrechtliche Garantien verraten und sich dann als deren Hüter aufspielen.

Das empörende Neue an der Enthüllung des Edward Snowden ist der real existierende Absolutismus der Systeme. Man überwacht alles, wenn es technisch möglich ist. Hier muss ein neues Zeitalter der Aufklärung beginnen.

Und zwar nicht im Sinne einer technisch lückenlosen Aufklärung, sondern einer über Moral. Über die Grenzen der Überwachung. Das hört sich „utopisch“ an? Meinetwegen – die Utopie ist der Raum, den Maschinenintelligenz vermutlich nie erobern kann. Dieser Raum bleibt auf immer menschlich.

Vielleicht ist es an der Zeit, über zweihundert Jahre nach der sogenannten Aufklärung, sich diesem unbekannten Territorium zu widmen.

Einfach mal „Neuland“ betreten, wie Frau Merkel das gesagt hat. Und ganz ehrlich – ich würde sie als Blinde tatsächlich voranschreiten lassen, wenn sie die Sensibilität hätte, Gefahren zu erspüren.

Neuland? Klar – der Kalte Krieg zwischen Partnern ist neu

Das fehlt ihr. Wir dürfen gespannt sein, was die nächsten Wochen und Monaten an weiteren Erkenntnissen bringen.

Soviel scheint bislang sicher. Frau Merkel hat versagt. Sie hat ihre Bürger/innen nicht beschützt und ist womöglich sogar an der Ausspionnage durch „Kenntnis“ beteiligt.

Ich erwarte, dass sie das nicht ist und alle Verantwortlichen zu Rechenschaft zieht. Das wird ein großes Theater – oder auch nicht.

Wenn nicht, dürfen wir uns alle vermutlich als geprismt fühlen.

Angela Merkel und ihr Außenminister ohne Profil und Namen und alle, die sich wegducken, nicht in Erscheinung treten wollen, haben genau eines nicht: Das Format eines Menschen, der eine Gewissensentscheidung getroffen hat.

Um das zu übersetzen: Der Name Snowden steht für ein Gewissen – alle, die sich daran nicht messen wollen, stehen für ein Nicht-Gewissen.

Sehr sicher ist, dass viele nicht im Ansatz ahnen, wie die Welt sich verändert.

Willkommen im Neuland. Im Altland kann man keinen Snowden akzeptieren. Deswegen muss man ihn fernhalten.

Edward Snowden wünsche ich einen guten Lauf. Hoffentlich überlebt er ihn. Die Chancen stehen nicht gut.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit

Anmerkung: Herzlichen Dank an Herrn Greenwald für seine  Veröffentlichung.

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Über Hardy Prothmann

Hardy Prothmann (50) ist seit 1991 freier Journalist und Chefredakteur von Rheinneckarblog.de. Er ist Gründungsmitglied von Netzwerk Recherche. Er schreibt am liebsten Porträts und Reportagen oder macht investigative Stücke.