Donnerstag, 21. Februar 2019

Das Geld ist zusammengekommen - die Zahl der Crowdfunder nicht

Krautreporter: Prinzipiell vor dem Start bereits gescheitert

Mannheim/Berlin, 13. Juni 2014. Das Projekt Crowdfunding für die Krautreporter wird heute angeblich die notwendige Zahl von 15.000 Zeichnern erreichen. Am Vormittag des letzten Kampagnentages fehlen „nur“ noch 600 Unterstützer – angeblich. Tatsächlich fehlen tausende. Wie viele, weiß die Öffentlichkeit nicht. Zuletzt wurde bekannt, dass „Großinvestoren“, pardon, Großunterstützer das Projekt gepusht haben – ohne diese Hilfe wäre man gescheitert. Wenn die Krautreporter nun jubeln und sich feiern lassen, man habe es geschafft, ist das die erste journalistische Falschinformation der Öffentlichkeit, die den Online-Journalismus ganz sicher nicht rettet.

Von Hardy Prothmann

Nun kommt es also so, wie ich es bereits vermutet habe. Nach einem fulminanten Start ging der Kampagne trotz einer enormen medialen Präsenz fast die Luft aus. Bis vor drei Tagen war klar: Geht es in diesem Tempo weiter, sind die Krautreporter mit einer Kampagne eindeutig gescheitert. Doch, oh Wunder, zum Ende klappt es doch noch.

Zum Endspurt entwickelt die Kampagne eine noch größere Dynamik als zu Beginn. Warum? Weil mit einem Male Großunterstützer wie die Rudolf-Augstein-Stiftung einfach mal 1.000 „Zeichner-Anteile“ kauft und sie verschenkt. (Kann man das als Werbeausgabe abgsetzen?) Damit passiert genau das, was ich befürchtet habe: Das Prinzip des Crowdfunding wird nicht anerkannt – man verrät das Ziel, 15.000 eigenständige Unterstützer zu erreichen, die 60 Euro im Jahr zahlen und durch ihre Vielzahl verhindern, das einzelne Einfluss ausüben können.

Die berechtigte Frage ist: „Ist das so?“. Wenn die Rudolf-Augstein-Stiftung 60.000 50.000 Euro ausgibt, will sie keinen Einfluss ausüben? Wenn andere mehrere hundert oder ebenfalls 1.000 und mehr „Anteile“ „kaufen“ – hat man dann tatsächlich 15.000 Unterstützer oder eben nicht viel weniger? Werden Menschen, die einen „Zugang“ geschenkt bekommen, automatisch zu Unterstützern? Eher nicht.

Die Möglichkeit, große Pakete von einzelnen kaufen zu lassen, hat die Crowdfunding-Idee im Kern manipuliert und damit den Anspruch der Krautreporter, unabhängigen und ehrlichen Journalismus über die Leser finanzieren zu lassen. Wer behauptet, die Krautreporter hätten es geschafft, 15.000 und mehr Unterstützer zu finden, behauptet glatt eine Lüge.

Die Kampagne hätte auch zum Ziel haben können, 900.000 Euro einzusammeln. Hat sie aber nicht – entscheidend war die Zahl 15.000 und die wird nur „formal“, aber nicht in echt erreicht.

Repariert man so den Online-Journalismus, wie die Krautreporter vollmundig behaupten? Ist diese Kampagne tatsächlich ein Beleg, dass man über „die“ Leser ein journalistisches Projekt finanzieren kann? Wohl kaum.

Überhaupt – wer sind „die“ Leser, wer „die“ Unterstützer? Einen erheblichen Teil haben also Großunterstützer wie die Rudolf-Augstein-Stiftung gezeichnet, dann gibt es viele Journalisten und andere Medienleute – mein Stream ist voll von Kollegen, die sich als Unterstützer anpreisen. Wie viele „echte“ Leser bleiben am Ende übrig? Gegen 11 Uhr wurden 478 Seiten mit je 25 Zeichner aufgelistet. Macht 11.950 Zeichner. Der Zähler zeigt 14.234. Differenz 2.284 Zeichner. Wie kommt es dazu? Entweder ist die Listung falsch oder der Zähler.

Das Projekt ist von vorne bis hinten konzeptionell schwach – ob Frauenquote, keine Redaktion, keine Inhalte oder vor allem Fragen zur Transparenz.

Ich bin einer von denen, die das Projekt durchgängig kritisiert haben – nicht, weil ich die Idee nicht gut finde und mich natürlich freuen würde, wenn es klappt, sondern weil ich die Umsetzung schlecht finde, sie überhaupt keine Anhaltspunkte liefert, wie andere den „Erfolg“ wiederholen könnten. Zudem habe ich als einziger mal durchgerechnet, was bei den Autoren unten ankommt, wenn sie ihre Arbeit gut machen. Mit viel Glück schaffen Sie etwas mehr als den Mindestlohn pro Stunde. Das ist kein Vorbild für die Zukunft des Journalismus – und wenn das so wäre, dann würde das heißen, dass selbst der ach-so-tolle-Journalismus-der-Journalismusreparierer für die Journalisten nicht mehr bringt, als einen Appel und ein Ei.

Die mentalen Unterstützer, die postings abgesetzt haben in Richtung wie: „Man muss doch was riskieren“, „Hauptsache gemault, statt was gemacht“ und „Lasst sie doch mal machen“ usw. sind „moralisch“ alle auf der richtigen Seite. Yes, we can ist die Vorlage, was draus geworden ist, kann man sich ja anschauen. Obama hat versagt.

Die Krautreporter erreichen zwar die Summe – wie das Projekt aber umgesetzt wird, ist noch vollkommen offen. Mal angenommen, sie erfahren was von „Ungereimtheiten“ bei der Rudolf-Augstein-Stiftung – werden sie darüber berichten und wenn ja, wie? Durch die Annahme von Großunterstützern haben sie die selbst propagierte Unabhängigkeit bereits verraten. Moment – diese „Zeichnungen“ werden doch verschenkt, also kein Einfluss möglich… Ja, bis nächstes Jahr, wenn die Unterstützer erneut das Projekt finanzieren sollen. Fehlen diese und erreicht man nicht genug neue, fehlt Geld, werden Artikel fehlen und es geht bergab.

In meiner Redaktion lernt jeder Mitarbeiter die Regel Nummer 1: Traue keinem! Beim Schlusspurt sah es vor drei Tagen noch schlecht aus. Plötzlich zogen die Zeichnungen an, dann sprunghaft, dann wurde bekannt, dass die Rudolf-Augstein-Stiftung 60.000 Euro einlegt. Und die Zahlen gingen in Richtung Ziellinie. Bis heute gibt es keine Antwort der Krautreporter, ob der Zähler nicht manipuliert werden kann, was mit Sicherheit anzunehmen ist. Und mal ehrlich: Wer wäre moralisch integer genug, bei ein paar hundert fehlenden Unterstützern das Projekt scheitern zu lassen, wenn schon weiter über 800.000 der 900.000 Euro zusammengekommen sind? Wer? Nur die, für die Glaubwürdigkeit alles ist.

Wenn die Krautreporter glaubwürdig starten wollen, müssen Sie nachvollziehbar belegen, dass keine Manipulation stattgefunden hat. Denn wenn nur der leiseste Verdacht bleibt, dass man hier kein journalistisches Projekt macht, um den angeblich kaputten Online-Journalismus zu „reparieren“, sondern sich nur Geld zur Existenzsicherung oder als Extra zum Einkommen verschaffen wollen.

Phase eins ist beschädigt bestanden, weil nur durch Manipulation das Ziel erreicht werden konnte. Mal schauen, was Phase zwei bringt.

Eine Erkenntnis über „kaputten“ Journalismus hat die Kampagne aber gebracht – und zwar über viele Journalisten, die jegliche Kritik gerne und willig übersehen haben, weil sie wollten, dass die Kampagne erfolgreich wird. Nur wenige haben recherchiert, nachgedacht oder nachgerechnet. Die Erkenntnis ist: Es gibt viel zu viele Journalisten, die einen kaputten Journalismus machen – sie lassen sich für Kampagnen instrumentalisieren und machen ihren Job nicht.

Das wusste ich allerdings schon vor dem Krautreporter-Projekt.

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Über Hardy Prothmann

Hardy Prothmann (50) ist seit 1991 freier Journalist und Chefredakteur von Rheinneckarblog.de. Er ist Gründungsmitglied von Netzwerk Recherche. Er schreibt am liebsten Porträts und Reportagen oder macht investigative Stücke.