Dienstag, 30. Mai 2023

Einfach mal das Maul aufmachen

Kraut und Rüben

kacke

Mannheim/Berlin, 17. Mai 2014. Die Krautreporter werden scheitern – vor allem an sich selbst. Erstaunlich – ist doch einer von ihnen der wohl bekannteste Medienblogger Stefan Niggemeier, der ständig über Fehler von Medien schreibt und wissen sollte, was alles am Projekt nicht taugt. Die Krautreporter wollen raus aus der „Filter bubble“ – dabei stecken sie mittendrin. Jede Kritik sollte willkommen sein – denn dann ist das Ding vielleicht noch zu retten. (Fortsetzung meines Artikels „Das reicht für ein Jahr„)

Von Hardy Prothmann

Geht es nach Christian Jakubetz, sollen ich und andere „einfach mal den Mund halten“. Erstaunlich, auf welches Prolo-Niveau sich der Kollege begibt. Und das als Journalist: Einfach mal die Klappe halten. Seine Argumentation geht so:

Weil es einfach nervtötend ist, dass man in diesem gottverdammten Netz ungefähr nichts machen kann, schon gleich gar nicht, was mit Medien zu tun hat, ohne dass es sofort zerredet wird.

So ist das, lieber Christian. Als ich vor fünf Jahren das Heddesheimblog aufgemacht habe, gab es auch jede Menge Leute, die es klasse fanden und jede Menge Leute, die mein „Scheitern“ vorhergesagt haben. Immerhin habe ich jetzt fünf Jahre durchgehalten, habe Arbeitsplätze geschaffen, bilde aus und war und bin Vorbild für andere.

Maul halten oder Mund aufmachen?

Lieber Christian, Du bubbelst irgendwas ungefiltert über eine Filter Bubble und einer Kritik an den Krautreportern, die Dir so vorkommt, als würden die Crowdfunding für ein Atomkraftwerk machen. Da sag ich nur: „Halt doch bitte den Mund. Das ist einfach blödes Zeugs, was Du da schreibst.“ Und was die Filterblase angeht:

Kritik üben hat nichts mit Kaputtreden zu tun

Der geschätzte Kollege und Macher Benno Stieber hat mit Kollegen die Freischreiber aufgezogen. Klasse, da bin ich gerne Mitglied geworden und werde mich auch einbringen. Dann schreibt er aber auf mich bezogen:

Ich rede nichts kaputt – ich stelle kritische Fragen. Das ist meine Aufgabe als Journalist. Und ich ordne ein. Das scheint nicht von allen erwartet zu werden. Vermutlich bezieht sich Benno auf diese Kommentare beim Krautreporter Geschäftsführer Philipp Schwörbel:

kommentar 1

kommentar 2

Philipp antwortet darauf:

Lieber Hardy, nur ganz kurz. Vieles von dem was du sagst ist richtig, anderes sehe ich anders. Zum Beispiel zum Konzept. Das Konzept ist sonnenklar: Vier ausführliche, möglichst multimediale Posts am Tag von tollen Autoren; eine Themenmischung aus Relevanz und journalistischer Unterhaltung; egne Zusammenarbeit mit den Lesern; eine saubere, leicht zu bedienende, emotional gestaltete Seite. Fertig! Und natürlich machen wir Fehler und nicht alles ist perfekt. So what, wir lernen und machen es jeden Tag besser. Es geht uns ums machen. Nicht ums glauben und nicht ums reden. Wir versuchen es einfach. Und wenn es nicht klappt, haben wir es versucht.

Das habe ich auf Facebook dann nicht mehr kommentiert. Ich stelle jetzt wieder die Frage: Was ist daran Revolution? Was ist anders als das, was es schon gibt? Tolle Autoren, Themenmischung, saubere Aufbereitung – das soll den „kaputten Online-Journalismus“ reparieren? Come on.

Auch ein ambitionierter Misserfolg bleibt ein Misserfolg und kein Vorbild

Ich warne davor, dass die Geister, die man ruft, nicht mehr weggehen: Nicht nur nach meiner Einschätzung werden die Krautreporter das Ziel von 15.000 Abonnenten nicht erreichen. Und wenn doch, ist nach ein, zwei Jahren das Geld alle, da man nur auf eine einzige „Erlösquelle“ setzt, droht dann das aus. Und was ist das Ergebnis in beiden Fällen? Ein kaputtes Online-Projekt.

Was mir extrem fehlt, ist Transparenz. Was, wenn die Krautreporter die Zahlen manipulieren? Ein ungeheuerlicher Vorwurf? Wer nicht danach fragt, verhält sich journalistisch ungeheuerlich. Man sammelt schließlich das Geld nicht irgendwo anders, sondern auf der eigenen Plattform. Die Versuchung, das Projekt zu retten, wenn man es fast geschafft hat, wird enorm sein. Die Enttäuschung, weil ein paar hundert Spender fehlen, das viele Geld nicht einzusammeln, enorm.

Und ich denke die Sache anders – nicht, weil ich mich als Pessimist hervortun will, sondern weil es so kommen wird. Mut macht man nicht mit gescheiterten Projekten, sondern mit erfolgreichen Vorbildern. Die Medienbranche ist mittlerweile derart kaputt, dass es kaum noch Nachwuchs gibt – wer will denn noch Journalist werden bei den miesen Aussichten?

Insofern verstehe ich den „Kindergarten“, wie ich das Projekt einschätze, als gefährlich kontraproduktiv. Hier treten rund 30 Leute an, um den Beweis zu führen, dass man es aus eigener Kraft nicht schaffen kann.

Viele offene und auch banale Fragen

Nochmal:

  • Was soll das für eine Themenmischung sein, die täglich die 15.000 Spender und weitere, neue Spender begeistert?
  • Kann man über Jahrzehnte herausentwickeltes Wissen über Zielgruppen und Märkte einfach ignorieren?
  • Ist täglich täglich oder Montag bis Freitag.
  • Gibt es Ferienzeiten oder 365 Tage im Jahr?
  • Gibt es jeden Tag überregional tolle Geschichten, die sich ein Hamburger über irgendwas in Bayern reinziehen will oder ein Saarländer über irgendwas in Berlin?
  • Lesen die Spender gleichzeitig gerne Tech-Themen und Frauengeschichten?
  • Braucht man medienkritische Texte auf Krautreporter, wenn es den Niggi weiter mit seiner Seite gibt?
  • Glauben die Krauts wirklich, dass sich ein 47-jähriger Kerl wie ich den naiven Jung antut, der mich nur nervt (ist nur geschäftlich gemeint, nicht persönlich)?
  • Ist es nicht vollkommen egal, wie die Frauenquote ist (liebe Genderisten: Es arbeiten bei weitem mehr Frauen als Männer im Journalismus, was anderswo als echtes Problem gesehen wird, weil es zu wenige Kerle gibt.)
  • Reichen 600 Euro im Schnitt tatsächlich für tolle Stories, wenn darin auch Reisekosten, andere Spesen enthalten sind? Sind da auch tolle Fotos von Spitzenfotografen dabei, eventuell auch Filme inklusive Schnitt?
  • Wie hoch sind die Kosten für Prozesse kalkuliert – denn wer nicht nur „schöne“ Besinnungsaufsätze schreiben will, sondern journalistisch zupackt, muss mit Prozessen rechnen?

Das sind alles ganz banale Fragen, auf die die Krautreporter keine Antworten haben. Und nochmal: So „geil“ auch 900.000 Euro klingen mögen – gemessen an der Zahl der Leute und am Vorhaben bin ich eher beeindruckt davon, dass man den „kaputten“ Journalismus mit so wenig Geld retten will.

Karsten Lohmeyer fragt den designierten Chefredakteur Alexander von Streit zur Form des Journalismus, wie ihn die Krautreporter machen wollen. Die Antwort:

Journalismus soll unabhängig sein, soll aufklären, dabei aber auch unterhalten und sich nicht kommerziellen und politischen Interessen unterwerfen. Er soll eine gesellschaftliche Funktion erfüllen. Wir werden auf jeden Fall einen Journalismus mit Haltung machen.

Mich überzeugt dieses dünne Manifest eher mal nicht, auch wenn ich verstehe, was Alex meint. Aber hat das genug Substanz und Haltung?

Es gibt bereits erfolgreiche, langfristige Crowdsourcing-Projekte

Und warum tun die Krautreporter so, als sei der Kontakt mit den Lesern was Neues? Überall gibt es Social Media-Redakteure, die nix anderes machen, als mit Lesern in Kontakt zu bleiben. Kontext – Die Wochenzeitung in Stuttgart ist übrigens schon ein erfolgreiches Projekt und hat längst umgesetzt, worüber hier so ein Hype gemacht wird: Mehr als 1.200 Menschen zahlen nicht 60 Euro im Jahr, sondern 120 Euro. Dazu hatten die Stuttgarter eine Anschubfinanzierung von 200.000 Euro, die von Edzard Reutter kam und sie haben Einnahmen über einen Lizenzvertrag mit der taz. Also eine Sonderzahlung und zwei Einnahmequellen – dort arbeiten aber nur rund ein halbes Dutzend sehr erfahrene Journalisten, die aus dem „alten System“ kommen. Das Projekt ist gut geplant, klar umrissen und als wöchentliche Publikation angelegt.

Die aktuell trendy immer wieder genannte „Filter bubble“  und die vielen Medienjournalisten haben das irgendwie glatt übersehen, dass es diesen Crowdsourcing-Erfolg schon seit ein paar Jahren gibt. Und dass Journalisten anfangen anderen Journalisten den Mund verbieten zu wollen oder sich über kritische Beiträge beschweren – das sind Überraschungen, die ich in der Debatte sehr erstaunlich finde.

Das Projekt von Krautreporter zeigt, dass es im Journalismus aussieht wie „Kraut und Rüben“. Leider. Ich wünsche den Krauts alles Gute – aber das werden sie nur schaffen, wenn sie auch ohne Geld sofort loslegen. Am besten mit einem Dummy für die ganz Dummen wie mich.

Disclaimer: Philipp Schwörbel hat die Prenzlauerberg-Nachrichten nach dem Vorbild Heddesheimblog entworfen. Ich schätze sein Angebot sehr. Alexander von Streit kenne ich seit vielen Jahren – auch als Auftraggeber, als er noch bei Focus online war. Karten Lohmeyer hat mich mal interviewt – ich warte immer noch auf Veröffentlichung. Christian Jakubetz kenne ich auch seit Jahren – überwiegend aus dem Netz, einmal haben wir uns in München beim DJV getroffen. Daniel Bouhs kenne ich nur hier und da vom Lesen, sein Beitrag in der taz ist lesenswert. Julius Becker kenne ich nicht – Lorenz Matzat hat mich auf den Tweet aufmerksam gemacht. Lorenz kenne ich auch nur aus der „Bubble“. Stefan Niggemeier habe ich, glaube ich, zwei mal bei Veranstaltungen getroffen, es gab ein zwei Telefonate und ein paar mails, sonst kenne ich ihn auch nur aus dem Netz.

 

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