Freitag, 02. Juni 2023

Warum ich jedem abrate, ein Lokalblog zu gründen

Don’t dream – it’s over

Mannheim, 04. Juli 2017. (red/pro) In dieser Zeit ein neues Medium im Lokalen zu gründen, grenzt an ein Himmelfahrtskommando. Wenn man nicht viel Geld und Mitstreiter mit hohem fachlichen Können, hoher Leistungsbereitschaft und großer Leidensfähigkeit hat, ist das Unterfangen nahezu aussichtslos. Tatsächlich ist das Sterben von Lokaljournalismus höchst gefährlich und dieser Text treibt Ihnen das Grauen in den Kopf. Garantiert.

Von Hardy Prothmann

In den Jahren 2009-2013 bin ich häufig gefeiert worden. Toll, was mit dem Heddesheimblog.de angefangen hatte und sich dann schließlich ins Rheinneckarblog.de weiterentwickelt hat. Die Euphorie unter Medienjournalisten war enorm: Hyperlokale neue Nachrichtenangebote sollten die Lücken fühlen, die Zeitungsschließungen und Einsparungen in großen Verlagshäuser überall im Land gerissen hatten.

Heute? Nur wenige Jahre später? Aus der Traum – kaum eines der neuen Angebote hat überlebt. Mal ganz abgesehen davon, dass die meisten Inhalte äußerst dünn wären und journalistisch nicht wirklich was gerissen haben.

Wie auch? Entweder sind die Blogmacher gestandene Journalisten, so wie ich oder sie haben nicht ansatzweise die Fähigkeiten, herausragende Arbeit anzubieten, die für Aufmerksamkeit sorgt, ein Publikum findet und damit auch Vermarktungsmöglichkeiten schafft.

Doch wer vermarktet diese Plattformen? Anzeigenverkäufer, die einem die Bude einrennen? Ganz sicher nicht. Hinzu kommt, dass die lokalen Online-Anzeigenmärkte entweder nicht entwickelt oder hart umkämpft sind. Wie soll man gegen die großen Rubrikenmärkte KFZ, Immobilien und Jobs ein Portal aufbauen, wenn selbst die großen Verlagshäuser hier massive Einbußen hinnehmen mussten und sich für viel Geld wieder in die Portale eingekauft haben?

Hinzu kommt: Die Zeitungsverlage haben nicht nur die vollkommen hirnrissige „Kostenloskultur“ befördert, sondern alles dafür getan, um Onlinemärkte zu beschädigen, um ihre Printanzeigen zu schützen.

Wer sich aufs Hyperlokale konzentriert, kann die Nachrichten für seinen Kiez oder sein Dorf machen – aber niemals genug Geld verdienen, um davon zu leben. Man muss das Gebiet also vergrößern und damit mehr Leser/innen wie auch zahlungsfähige und -willige Werbekunden ansprechen. Und die Vermarktung selbst in die Hand nehmen. Doch das ist ein Fulltime-Job – wer macht dann Journalismus und leitet die Redaktion?

Dazu kommt eine Leserschaft, die auf eine Vielzahl von Angeboten im Internet treffen und nur schwer zu binden sind. Bestes Beispiel: Die seit über 20 Jahren massiv zurückgehenden Abonnentenzahlen bei den Tageszeitungen.

Viele Menschen sind nicht bereit, für Informationen Geld zu bezahlen. Hinzu kommt der Verlust der Exklusivität. Mehr oder weniger alle Behörden informieren zu relevanten Vorgängen mittlerweile selbst, Unternehmen sowieso. Das nutzen auch wir, um der Leserschaft ausgewählte und unserer Ansicht nach wichtige Meldungen anzubieten, das ist aber nicht vermarktbar. Zeitungen schreiben diese Meldungen um und bescheißen die zahlenden Abonnenten mit dem Eindruck, das sei Journalismus.

Lokaljournalisten mussten schon immer Allrounder sein, aber die Komplexitäten der Gesellschaft haben zugenommen, ebenso die Gesetze und die Angebote in Städten. Ein Beispiel: Die Stadt Mannheim beschäftigt inklusive aller Ämter und Eigenbetriebe über 8.000 Menschen in hochkomplexen Zusammenhängen. Bauamt, Ordnungsamt, Ausländerbehörde, Kinderbetreuung, Kulturamt, Wirtschaftsförderung usw..

Alle Belange in Zusammenhang mit den Aufgaben, die diese Menschen betreuen, können journalistisch nicht nur interessant, sondern wichtig sein. Niemand kann gleichzeitig Experte zu dem sein, was 8.000 Menschen bearbeiten. Eigentlich braucht es für jede Behörde einen Mitarbeiter, der sich einfuchst, Kontakte macht und pflegt, die Entwicklungen verfolgt und verständig darüber berichtet. Allein für die Stadt Mannheim bräuchte es also gut 30-40 Redakteure.

Beim Polizeipräsidium Mannheim arbeiten 2.400 Personen, davon über 2.000 Polizisten, der Rest sind Verwaltungsleute. Das Gebiet sind die Städte Mannheim (317.000) und Heidelberg (rund 150.000) sowie der Rhein-Neckar-Kreis, der mit über 500.000 Einwohnern bevölkerungsreichste Landkreis im Südwesten. Also gut eine Million Menschen – teils geballt in den Zentren, sonst verteilt im ländlichen Raum. Politisch wird über die Polizeireform gestritten – zu lange Wege. Übersetzen Sie das mal für uns: Es ist vollständig utopisch, polizeiliche Themen ort- und zeitnah abzubilden. Sicherheit und damit Polizei ist bei uns ein Top-Thema, ich denke, dass insbesondere ich einen ziemlich guten Job mache, aber nur mit dem täglichen Mut zur großen Lücke.

Dazu kommen Landesthemen und solche vom Regierungspräsidium. Dazu Verkehr in allen möglichen Konstellationen, dazu durchgeknallte Künstler in der Region, die bundesweit für Schlagzeilen sorgen. Und natürlich die Globalisierung. Wenn im Ausland ein Konzern hustet, liegt vor Ort möglicherweise ein Patient im Komazelt.

Diese heutigen Komplexitäten bildet kein Medium mehr ab – weder eine Lokalzeitung noch alle Medien in einem Gebiet zusammen. Viele wichtige Geschichten werden nicht erzählt, schon gar nicht recherchiert, sie existieren einfach nicht mehr. Und damit meine ich nicht nur die „Aufregerthemen“, sondern insbesondere leise Geschichten, einfühlsame, aber höchst erzählenswerte, weil es um Menschen geht.

Ich habe heute auf dem Rheinneckarblog ordentlich Alarm gemacht, weil dieser Alarm angebracht ist. Ergebnis: Acht Personen haben Geld gegeben, insgesamt 450 Euro, zwischen 20 und 100 Euro pro Person. Das ist super. Dafür bin ich dankbar, aber das ist zu wenig.

Allein ein freier, hauptberuflicher Journalist braucht – nach seiner Ausbildung und ersten Jahren der Erfahrung – , um einigermaßen ordentlich leben zu können und auch für seine Rente vorzusorgen mindestens 350 Euro brutto täglich, fünf Mal die Woche. Für einen angestellten Journalisten muss man an Lohn und Ausstattung des Arbeitsplatzes mindestens 60.000 Euro rechnen und das ist schon knapp kalkuliert – angesichts der Arbeitsbelastung und der Fähigkeiten, die man haben und der Leistung, die man bringen muss.

Die Politik – und das ist eine der vielen Dummheiten im politischen System – ist eigentlich ganz zufrieden mit der Situation. Denn sie denkt einfach: Weniger Journalisten, die hart recherchieren, bedeutet weniger Probleme, die durch Recherchen und Berichte ausgelöst werden könnten. Weniger „Wächter“ – mehr Freiheit für Politiker.

Auf den ersten Blick geht die Rechnung auf – auf den zweiten überhaupt nicht. Denn wer funktionierende politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Systeme verstanden hat, weiß, dass eine durchgehende Kontrolle zwingend notwendig ist, damit diese demokratisch funktionieren. Überall und immer, wenn Kontrolle fehlt, wuchern die Missstände und die Systeme geraten außer Kontrolle.

Freiheit ist ein hoher Wert an sich – ohne Kontrolle und den Zwang zur Verantwortung, ist er nichts wert. Wenn Sie so wollen, sind Länder wie der Irak oder Afghanistan oder Nigeria und Somalia und insbesondere Libyen die freiesten Länder der Welt. Dort gibt es so gut wie keine Kontrolle. Das Ergebnis ist tödliches Chaos und eine absolute Unfreiheit zum Nachteil der allermeisten Menschen in diesen Ländern. Das Ergebnis ist gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und kultureller Stillstand. Das Ergebnis ist Terror.

In Krisenbranchen wird viel Geld investiert. Ob Kohle oder aktuell den Atomausstieg, vulgo Energiewende. Das Journalismus-System in Deutschland ist seit Jahren in einer Megakrise – das mag nur niemand so eingestehen. Alle werfen sich in die Brust für die Meinungsfreiheit – doch die schwindet immer mehr. Da profiliert man sich und ruft „Meinungsfreiheit für die Türkei“ oder Ungarn oder Polen. Doch die Frage, was diese Leute für die Meinungsfreiheit, deren Motor Journalisten sind, im eigenen Land tun, die wird nicht gestellt und schon gar nicht angepackt.

Viele Menschen wenden sich von „den Medien“ ab – oft zurecht, weil die Leistungen immer enttäuschender sind. Zu vielen Themen gibt es keine Berichte mehr. Dafür immer mehr Aufregerthemen im Konkurrenzkampf um die letzte Aufmerksamkeit. Das führt fatalerweise zum Abschalten bei den Menschen. Die ertragen nicht, dass überall nur noch Mord und Totschlag und Krise, Krise, Krise berichtet wird.

Ich habe dazu eine interessante Erfahrung: Als Fukushima hochging, hatten wir tolle Themen im Angebot. Die liefen. Die Zugriffe waren gut. Doch dann nahmen diese dramatisch ab. Ich wusste nicht, wie mir geschah. Wie konnte das sein? Top-Stories und immer weniger Leute interessieren sich? Im Gespräch mit Leuten auf der Straße, mit Kollegen, Freunden, Kontakten hörte ich immer öfter: „Das ist zu viel, das packe ich nicht mehr. Ich meide Nachrichten, weil mich das überfordert.“

Es fehlte der Ausgleich. Die gute Nachricht. Die Leute zogen den Kopf ein.

Andererseits gibt es immer mehr Menschen, die tatsächlich glauben, die Medien seien gleichgeschaltet. Diese Menschen haben mit ihrer Wahrnehmung recht, weil insbesondere klassische Medien ganz überwiegend dieselben Nachrichten haben, nämlich aus den Agenturnachrichten. So wirkt das gesteuert – tatsächlich ist das das Ergebnis von Sparzwängen, wirtschaftlicher Not und dem festen Vorsatz, so zu tun, als sei alles noch normal und gehe „seinen sozialistischen Gang“.

Tut es nicht. Die Vielfalt der Nachrichten schwindet mehr und mehr. Die publizistischen Angebote gehen zurück. Es gibt immer mehr Einheitsbrei und in der Not setzt man auf Unterhaltung oder Schock, die alte Erfolgsformel der Bild: TTT – Tiere, Titten, Tote.

Diese Erfolgsformel ist aber keine. Die Bild-Zeitung hat ihre Auflage mit der Wiedervereinigung auf Rekordhöhe gesteigert. Aus dem Kopf, nicht belegt, rund 4,6 Millionen Exemplare. Heute liegt sie sehr deutlich unter zwei Millionen. Und die Bild war noch nie Lokalzeitung, noch nie verlässlicher Begleiter im Alltag des eigenen Lebensraums.

Wer heute dagegenhalten will und vor Ort, für die Region ein publizistisches Angebot gestalten möchte, muss für die ersten drei Jahre minimum rund 200.000 Euro in die Hand nehmen – ohne zu wissen, ob man damit Erfolg hat. Dazu investiert man drei Lebensjahre. Und wenn man hart journalistisch vorgeht, muss man noch erhebliche juristische Kosten kalkulieren. Selbst wenn man gut ist, macht man Fehler und es gibt da draußen jede Menge Leute, die einen bestrafen wollen.

Neben der zwickenden Liquiditätsfrage braucht man Mitarbeiter, die leistungsbereit sind, voller Leidenschaft und willens, keine geregelten Arbeitszeiten zu haben und häufig mit den Untiefen des Menschseins konfrontiert zu werden. Dazu benötigt man viel Zeit, um das Vertrauen von Kontakten zu gewinnen und man muss neutral sein, um niemanden vor den Kopf zu stoßen, denn das wird sofort „gerächt“. Ob durch Klagen oder den Entzug von Zahlungen oder von Informationen, was tödlich für Journalismus ist, aber durchaus praktiziert wird.

Die goldenen Jahre für Journalismus sind vorerst vorbei. Ich weiß das, denn ich habe sie gut verdienend und mit tollen Arbeitsbedingungen erlebt. Insbesondere in den 90-iger Jahren hatte ich tolle Jobs, die oft sehr anstrengend waren, aber meine Existenz nicht nur gesichert haben, sondern lukrativ waren.

Ich habe mit meinen Engagement für eine moderne Lokalberichterstattung eine mehr als herausragende Leistung erbracht. Das Rheinneckarblog ist ein etabliertes Medium von hoher gesellschaftlicher Relevanz. Keiner meiner Mitarbeiter wurde von mir in Überstunden gezwungen, ich habe niemandem mehr zugemutet, als verträglich ist und immer alle Löhne und Honorare bezahlt.

Aber ich habe auch meine sämtlichen Rücklagen in nahezu sechsstelliger Höhe investiert und vor allem meine Lebenszeit und meine Kraft. Mit dem Erfolg wird der Gegenwind immer größer.

Ich musste hinnehmen, dass ich als Rechtsradikaler gebrannt worden bin, von Linken, denen meine Berichte nicht gefielen. Und als Linksradikaler von Rechten, denen meine Berichte nicht gefielen. Als „Blogger“ stand und stehe ich immer noch als Person in der Kritik. Es macht nicht wirklich Spaß, auf Kundgebungen als „Nazi-Hardy“ empfangen zu werden – von Dummköpfen, deren einzige Leistung aus Beleidigungen sowie Gewalt gegen Sachen und Personen besteht. Maskiert, anonym und in der Masse kaum verantwortlich zu machen. Gestützt von „aufrechten Sozialdemokraten“, die meinen, dass diese Leute ok sind, weil „antifaschistisch“.

Der Staatsschutz der Polizei teilt mir auf Anfrage mit, dass wegen meiner Arbeit eine „abstrakte Bedrohungslage“ für mich besteht. In meiner Verantwortung für meine Mitarbeiter habe ich diese dazu informiert, denn ich weiß nicht, ob mich ein „Molly“ trifft, wenn die gerade neben mir stehen. Um das zu verhindern, nehme ich keinen Mitarbeiter mehr zu problematischen Situationen mit – damit habe ich aber auch keine Unterstützung mehr und im Ergebnis kann ich selbst nicht mehr in diese Situationen, weil ich auch „Alltag“ zu bewältigen habe. Irgendwelche Pressekonferenzen zu irgendwelchen lokalpolitischen Themen, die Anfahrtszeit und Zeit vor Ort kosten.

Geld für Leistungen ist da. Wir werden täglich von netten PR-Agenturen mit tollen Meldungen zu tollen Dienstleistungen und Erfolgen von supertollen Fimen zugeschüttet. PR wird besser bezahlt als Journalismus, war früher noch goldener. Immer mehr machen PR – frühere Journalisten. Und kapieren nicht, dass kein Mensch mehr PR braucht, wenn es keine Medien mehr gibt, die man beliefern kann, um die frohe Botschaft abzusetzen. Aber ne Werbung schalten? Sorry, kein Budget.

Klingt irre? Ist irre.

Ich muss feststellen, dass immer weniger Zeit vor Ort bleibt, dass immer weniger Veranstaltungen besucht werden, dass immer weniger Gespräche ohne Zeitdruck geführt werden. Und mit dieser Feststellung bin ich auch Vorreiter – denn die etablierten Medien tun überwiegend so, als sei die journalistische Welt noch in Ordnung.

 

Ist sie nicht. Sie ist vollständig aus den Fugen. Aktuell wird eingestellt, übernommen, konzentriert und der Nachrichtenflow wird zunehmend zum Einheitsbrei – nicht nur durch Facebook-Algorithmen, sondern auch durch die Kontrolle von Klickzahlen und die Entscheidung großer Medienhäuser, dieser Spur zu folgen.

Dadurch findet zunehmend eine vollständige Deintellektualisierung der Gesellschaft statt. Der Aufmerksamkeitsterror durch Pressuregroups, bestens versorgt durch Lokalzeitungen, die verzweifelt versuchen, ihre Leserschaft, pardon letzten Abonnenten jenseits der 60 zu halten, wird gleichzeitig vom Like-Terror vollständig emotionalisiert-enthemmter Gruppen im Internet begleitet, die sich in sich selbst erfüllenden Prophezeiungen bis zur vollständigen Verblödung selbst bestätigen.

Im scheinbaren „sozialen Netzwerk“ ist eigentlich das allermeiste ziemlich asozial – vollständig ohne Kontrolle von der Leine gelassen und teils von enormer Wucht, auf die die Gesellschaft wie die Politik und der Gesetzgeber keine Antwort haben.

Ich war immer freier Journalist aus Überzeugung – weil ich mich keinen redaktionellen Linien oder Auflagen beugen wollte. Früher gab es für mich überwiegend „Lager“ – die waren eher links, die eher konservativ und dann gab es noch ein paar Extreme. Weder links noch konservativ wächst – sondern die Extreme. Ob 4.000 Hogesa-Rechtsradikale in Köln oder tausende „Nafris“ ebenfalls in  Köln oder linke Chaoten in Frankfurt und aktuell möglicherweise in Hamburg oder immer mehr durchgeknallte „Reichsbürger“.

Möglicherweise muss das so sein, weil ein sich entwickelndes Europa die Mitte suchte, erste Extreme in der Bankenseuche erfuhr und seitdem von Identitätskonflikten, Flüchtlingskrise und Abschottungstendenzen geplagt ist. Da ist viel Platz für neue Extreme jeder Art. Und fast alles hat lokale Relevanz – je nachdem, wo vor Ort vor Ort ist. Ob in Köln, in Mannheim, wo Hogesa entstanden ist oder in Hamburg oder wo gerade irgendwie alle hingucken, weil „was los ist“. Selbst das saarländische Dudenhofen, von dem kein Mensch bis auf Dudenhofener weiß, wo das ist, wird national interessant, weil sich Osmanen und Bahoz dort gerade bekriegen.

Wenn heute die Debatte darüber läuft, inwieweit die linksliberale Presse Einbußen erleidet und rechtskonservative Medien zulegen oder Lügen- und Lückenpresse skandalisiert wird, reibe ich mir die Augen. Was bitte, ist das für ein Verständnis von Journalismus? Journalismus hat frei und unabhängig zu sein und nicht Lager hier oder dort selbstverständlich zu bedienen. Journalismus ist für kritische Informationen zur Meinungsbildung da und nicht für Lagerbestätigung hier wie dort. Das nennt man nämlich PR oder Propaganda und teils ist der Journalismus davon nicht mehr zu unterscheiden, wie auch die heftige und teils berechtigte Kritik an ARD und ZDF zu vielen Themen, insbesondere der Auslandsberichterstattung, zeigt – obwohl diese Organisationen mit Milliarden Euro durch Zwangsgebühren regelrecht gepudert werden.

Das von mir verantwortete Rheinneckarblog hat sich nie mit Lagern gemein gemacht. Wir haben uns nachweislich mit allen und jedem angelegt – nicht aus Prinzip, sondern dann, wenn es aufgrund unserer Recherchen notwendig war.

Im Ergebnis haben meine Leute und ich uns damit viel Respekt verdient und eine große Leserschaft aufgebaut – aber ehrlich? Ich schätze unsere Leserschaft sehr, aber ist stelle fest, dass sie kleiner ist, als ich erhofft habe. Weil ich davon überzeugt bin, durch immer wieder intern wie extern nachgefragte Kritik, machen wir ein gutes Angebot – aber die Zahl der erreichbaren Menschen ist begrenzt und wächst nicht in dem Maße, wie ich mir das vorstelle.

Klassischerweise reagieren Medien dann so, dass sie überlegen, wie man die Leute „abholen“ kann und im Ergebnis ist die Lösung immer eine Boulevardisierung des Angebots, in der Hoffnung, über Tiere, Titten, Tote und Aufregerthemen mit der Konkurrenz mithalten zu können.

Tatsache ist: Diese Branche boulevardisiert und skandalisiert sich zu Tode, indem sie fast faschistoid hörig der Masse folgt, statt der Masse klar und deutlich Standpunkte vorzulegen. Leute mit Verstand verabschieden sich zunehmend aus diesen Tohuwabohu – wer kann, verlässt Deutschland dahin, wo gute Bedingungen geboten werden.

Das ist eine gefährliche Entwicklung. Man schaut besorgt aufs Ausland und schüttelt den Kopf. Was ist in der Türkei los, in Polen, in Ungarn, in Russland oder auch Großbritannien. Das gibt es doch alles gar nicht. Doch, gibt es. Das nächste Land, das nach rechtsaußen explodieren wird, ist Italien. Und dieser Flächenbrand wird auch Deutschland erreichen.

Lokale Medien wie das Rheinneckarblog werden auch bundesweit gelesen, haben enormen Einfluss, können aber die Symptome des kranken Journalismus nicht heilen.

Es braucht eine breite und intensive gesellschaftliche Debatte über den Wert und die Notwendigkeit von Journalismus, um Demokratie zu stärken. Wenn diese ausbleibt, erledigt sich erst der Journalismus und dann die Demokratie.

Kurzum: Das Investitionsumfeld in Journalismus würde von mir, wenn ich Broker wäre, als absolute Risikoanleihe eingeschätzt werden. Andererseits bedeutet das, dass hier viel Gewinn zu machen ist, wenn der Markt anzieht.

Das muss passieren, weil sonst alle anderen Märkte unzweifelhaft abrutschen und kaputt gehen.

Glauben Sie nicht?

Denken Sie an diesen Text, wenn es soweit ist. Bis 2025 werden wir in Deutschland tatsächlich bürgerkriegsähnliche Zustände erleben, wenn nicht sofort entschieden Maßnahmen ergriffen werden, um das zu verhindern.

Krieg entsteht immer dann, wenn die Informationen gesteuert werden oder durcheinander gehen oder nicht vorhanden sind. Wenn Sie im Geschichtsunterricht aufgepasst haben, dann wissen Sie das. Die ersten, die gehängt werden, sind Leute, die keine große Lobby haben – noch ein Grund, kein Lokalblog zu gründen.

So einfach ist das.

Anm.: Der Text wurde oben angefangen und unten beendet. Kein Vier-Augen-Prinzip. Keine Redaktion, keine Zeit, hier und da zu feilen. Sondern durchgeschrieben. Zeitaufwand: Etwa zwei Stunden. Hintergrundwissen: 27 Jahre.

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Über Hardy Prothmann

Hardy Prothmann (50) ist seit 1991 freier Journalist und Chefredakteur von Rheinneckarblog.de. Er ist Gründungsmitglied von Netzwerk Recherche. Er schreibt am liebsten Porträts und Reportagen oder macht investigative Stücke.