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Heddesheim/Facebook-Space, 09. Februar 2011. Über Social Media wird viel geredet – überschwenglich oder abwertend. Je nach Alter, Gemütslage, Interessen, Kenntnis oder auch einfach so. Kommentator „Klaus“ meint, das sei „alberne Kinderkacke“. Das kann man so sehen oder auch anders.
Von Hardy Prothmann
Kommentator Klaus hat sich den Text „Im Würgegriff der Exklusivität“ durchgelesen. Das muss man annehmen, zitiert er doch genau 34 Worte aus einem Text, der aus 2055 Worten besteht – und diese 34 Worte stehen fast am Ende des Beitrags.
Und zwei Worte sind für ihn „Reiz-Worte“ oder auch „Signal-Worte“. Auf die springt er an. Sie lösen ein „Gefühl“ in ihm aus. So stark, dass er ein „Bedürfnis“ spürt, dem er nachgibt.
Das Facebook-Freundschafts-Dingens.
Er scheißt schreibt einen Kommentar:
“-€¦die “Facebook-Freundschaft-€ zu mir gekündigt hat. Wir kennen uns aus Thailand, wo wir beide 2004 über den Tsunami berichtet haben. Und kurz darauf kündigte mir ein weiterer Spiegel online-Journalist den Facebook-Kontakt-€¦-€
Na, DAS scheint ja ganz schön weh zu tun. Oder? Ist das nicht alberne Kinderkacke, dieses Facebook–€Freundschafts-€-Dingens?
Was im Text als nüchtern formulierte Beschreibung steht, emotionalisiert Klaus. Dagegen wehrt er sich – mit „Kommunikation“.

Im echten Leben werden Freundschaften geschlossen oder beendet. Bei Facebook "hinzugefügt" oder "entfernt". Quelle: Facebook
Dabei entwickelt er sogar eine Art „Empathie“ – er vermutet, dass den Verfasser beim Schreiben ebenfalls starke Gefühle bestimmt haben. Und er vermutet eine Verletzung, auf die Schmerz folgt, der „ganz schön weh tut“. Implizit erkennt er darin einen Handlungsimpuls – und handelt selbst.
Denn auch Klaus scheint irgendwie verletzt zu sein – würde er sonst auf die Signal-Wörter reagieren?
Klaus hat ein Verhältnis zu Social Media – er verachtet diese Art Kommunikation. Deswegen versucht er sich mittels einer Ironisierung zu distanzieren und weil das nicht reicht, muss er sie zusätzlich verächtlich machen.
Emotionale Verbundenheit – wie auch immer.
Was ist der Grund dafür? Sofern Klaus schon einiges an Leben hinter sich hat, sind die Gründe aus den 19 eigenen Worten, die er schreibt, sicher nicht umfassend zu analysieren.
Könnte es sein, dass Klaus so distanzierend reagiert, weil er sich nach „echter“ Kommunikation sehnt? Hat er vielleicht schmerzliche Erfahrungen mit „echter“ Kommunikation gemacht?
Klaus denkt jedenfalls irgendwie über Freundschaften nach. Und er ist empört. Weil sein vermutlich „hehrer“ Begriff von „Freundschaft“, über lange Zeit entwickelt, gefühlt und gelitten, plötzlich nichts mehr wert sein soll. Denn plötzlich gibt es „Freundschaft“ per Klick – ebenso wie die Kündigung derselben.
Das kann nur „Dingens“ sein. Albern. Kinderkacke. Ein Schiss.
Was Klaus widerfährt – eine Verwirrung der Gefühle, bestimmt weltweit sehr viele Menschen. Facebook ist das am rasantesten wachsende Netzwerk der Welt, in dem sich weit über 500 Millionen Menschen miteinander „befreundet“ haben.
Natürlich nicht jeder mit jedem. Manche haben nur einige, viele dutzende, andere hunderte und manche sogar tausende von „Freunden“ oder „Fans“.
Perspektiven der Betrachtung.
Und alle die mitmachen, müssen lernen, damit umzugehen. Jeder für sich, ob sie Klaus heißen oder Li, Sergej oder Marie-Ann, ob Dolores oder Jean-Marc oder Hannelore oder Achmed.
Egal wie alt, egal aus welchem Kulturkreis sie kommen. Egal, ob privat oder geschäftlich.
Selbst die, die mit der Kinderkacke nichts zu tun haben wollen, müssen lernen damit umzugehen, dass so viele etwas machen, was sie selbst ablehnen.
Ignorieren lässt sich das kaum – in den arabischen Ländern formiert sich eine Revolution, die sich über soziale Netzwerke verbindet und organisiert. Ein bislang unbekanntes Phänomen. Was mag es bedeuten.
Manche deuten es sehr euphorisch, andere sehr pessimistisch. Was für die einen die Entstehung einer neuen Welt ist, ist für die anderen der Untergang der bekannten Welt. Beides sind nachvollziehbare Perspektiven der Betrachtung.
Über Kommunikation hat sich der Mensch seit jeher Gedanken gemacht. Früher mussten Kinder schweigen, wenn Erwachsene gesprochen haben, heute denken manche Erwachsene, dass Kinder zu allem und jedem reden müssen, „um sich zu entwickeln“.
Schlaue Sprüche.
Der Philosoph Ludwig Wittgenstein war ein schlauer Kopf, der auch viel über Sprache und Kommunikation nachgedacht hat, und sagte:
„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“
Was, wenn man den Satz als absolutes Handlungsaxiom verstehen würde? Vermutlich würde es sehr still auf der Erde werden.
Der Psychologe Paul Watzlawick hat den schönen Satz geprägt:
„Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Die Idee dahinter – auch eine „Nicht-Kommunikation“ ist eine Kommunikation.
Und auch eine „Scheiß-Kommunikation“ ist eine: Wenn ein Kleinkind kackt, weiß die Mutter, dass das, was sie verfüttert hat, verdaut wurde. Und anhand des Geruchs lässt sich oft schon feststellen, ob es dem Kind gut geht. Hat das Kind Blähungen alarmiert es die Mutter. Es empfindet Freud und Leid. Entwickelt Scham und Distanz.
Selbst später, beispielsweise als Restaurantkritiker, spielt das „stille Örtchen“, also der Raum, wo kaum einer spricht, eine „entscheidende“ Rolle, um zu einem Urteil zu kommen.
Zurück zur Freundschaft.
Nein – es hat nicht „weh getan“, dass ein Berufskollege, dessen Geschäft genau wie meines die Kommunikation ist, „mir die Freundschaft gekündigt hat“.
Er hat einen Knopf gedrückt.
Er hat einen Knopf gedrückt. Der funktioniert wie ein Lichtschalter. Durch das Ausschalten hat er die Kommunikation, die zuvor nur passiv bestanden hat, verdunkelt. Damit setzt er ein Zeichen – kommuniziert also, nicht mehr kommunizieren zu wollen, auch wenn wir vorher gar nicht aktiv kommuniziert haben.
Und ein anderer Kollege, der es ihm gleich getan hat, „drückt“ damit auch etwas „aus“. Man kann den Eindruck eines Ausdrucks haben – oder auch nicht. Man kann das verstehen, wie man will.
Klaus findet es albern, das mit dem „Facebook-Freundschafts-Dingens“. Ich verstehe Klaus, denn er hat meiner Meinung nach recht.
Trotzdem widerspreche ich Klaus, denn es gibt mehr als die „alberne“ Perspektive, auf die er sich beschränkt.
Ganz albern wäre es zum Beispiel, wenn ich über meine aktuell „nur“ 560 Facebook-Freunde frustriert wäre, weil Daniela Katzenberger, die sich sicher viel weniger Gedanken um Freundschaften macht, über 230.000 Facebook-„Fans“ hat.
Facebook funktioniert – wie auch immer.
Ich könnte mich trösten, dass ich wenigstens Freunde habe, die an mir, an dem, was ich zu sagen haben, interessiert sind. Und sie werden mir helfen, über den Verlust zweier Spiegel online-Freunde hinwegzukommen, wenn ich das hoffe, wünsche und zulasse.
Die Katzenberger, die hat doch nur Fans. Und die meisten sind männlich. Und warum die Fans sind, ist ja klar. Oder, Klaus?
Der Unterschied zwischen Frau Katzenberger und mir ist: Wenn ich, was auch immer, poste, erreiche ich zunächst 560 Menschen und sie über 230.000.
Und was das bedeutet, darüber denke ich nach.
Was Facebook genau ist, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass es funktioniert. Wie auch immer.
Und ob Klaus bei Facebook ist oder nicht, ob man seinen Kommentar albern findet oder nicht – Klaus ist spätestens ab heute mit Facebook verbunden. Ob er will oder nicht. Er hat sich für eine Distanzierung entschieden und auch das ist eine Verbindung. Ob ihm das „gefällt“ oder nicht.
Und ich muss „schmerzlich“ hinnehmen, dass von 2055 Worten mit vielen Gedanken genau 34 mit einer Beobachtung bei Klaus angekommen sind.
Das tut genauso wenig weh, wie der Verlust zweier „Freundschaften“ mit Spiegel online-Redakteuren.
„ein anderer Matthias“ schreibt als Kommentar:
„Aber eben genau weil es so eine Kinderkacke ist mit diesen Facebook-Freundschaften (sind ja gar keine richtigen Freundschaften), ist es eine noch viel größere oder dünnere Kinderkacke, diese Freundschaft zu kündigen, sobald man mal in seiner Reportereitelkeit angepiekst wird.“
Seine Perspektive ist auch eine Wertung. Er hat ein anderes Verhältnis zu „Facebook-Freundschaften-Dingens“. Er sieht keinen Schmerz – dafür wertet er aber das Verhalten der Spiegel online-Redakteure ab, er unterstellt ihnen „Eitelkeit“.
Und sowohl „ein anderer Matthias“ als auch Klaus reagieren beide emotional.
Das ist doch wirklich interessant, oder?
War es klug, eine Freundschaft zu kündigen? Oder dumm, sie erst einzugehen? Folgte die eine wie die andere Handlung einer Strategie oder nur einer Emotion? Was bedeutet es, den „Ein-Aus-Schalter“ zu drücken? Hat das Folgen? Für wen? Und welche?
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